Liebe Gemeinde,
Jesus hilft uns, das Vergeltungsprinzip zu durchbrechen. Er befreit uns
davon, dass wir dem alten Sprichwort folgen: "Wie du mir, so ich dir."
Mit all den Folgen, die das hat. Und wir dürfen wissen: Wenn wir
das tun, dann haben wir ganz gewiss Gott auf unserer Seite.
Nun - Vergeltung. Wenn ich mich so in unserer Runde umschaue, dann
vermute ich: Selten wird es geschehen, dass wir jemanden aus Wut
verprügeln, oder Ähnliches. Aber - muss es gleich eine
körperliche Attacke sein? Nicht umsonst gibt es die Rede vom
"Wortkrieg". Wo ein Wort das andere gibt - und dann "geht es rund". Der
Dichter Eugen Roth hat so einen Beinahe-Wortkrieg einmal in einem
humorigen Gedicht ausgedrückt: (E. Roth, Mitmenschen, S.46):
"Ein Mensch denkt oft mit stiller
Liebe / an Briefe, die er gerne schriebe. / Zum Beispiel: ´Herr!
Sofern Sie glauben, / Sie dürfen alles sich erlauben, / So teil
ich Ihnen hierdurch mit, / Dass der bewußte Eselstritt /
Vollständig an mir abgeprallt - / Das weitere sagt mein
Rechtsanwalt! / Und wissen Sie, was Sie mich können...´ /
Wie herzlich wir dem Menschen gönnen, / An dem, was nie wir
schreiben dürfen, / Herumzubasteln an Entwürfen, / Es macht
den Zornigen sanft und kühl / Und schärft das deutsche
Sprachgefühl." Das ist schon fast so ähnlich wie im
Bibeltext, nicht wahr? "Denn wer das Leben lieben und gute Tage sehen
will, der hüte seine Zunge, dass sie nichts Böses rede..."
Warum vergelten wir so gern "Scheltwort mit Scheltwort", Böses mit
Bösem? Nun - oft genug ist es einfach rein menschlich. Wenn mir -
je nach Temperament - Worte herausfahren, die ich besser nicht gesagt
hätte. Da ist es gut, dass man manchmal gar nicht die Gelegenheit
dazu hat - wie der Mensch aus dem Gedicht. Der seinen "netten Brief"
dann - wohlweislich! - doch nicht abgeschickt hat. "Das macht den
Zornigen sanft und kühl...".
Es ist gut, wenn man es eben doch geschafft hat, seine "Zunge zu
hüten". So mancher Wortkrieg ist gar nicht erst richtig
ausgebrochen, weil einer der Streithähne nicht
"zurückgeschossen" hat. Da hilft es, wenn wir uns daran erinnern:
Welcher Segen darauf liegt, wenn wir unsere Zunge beherrschen.
Denn eines stimmt ganz gewiss nicht. Nämlich, wie manche
Psychologen uns heute weismachen wollen: Dass wir "ganz offen" unseren
Mitmenschen sagen, ach wie sehr wie von ihnen gekränkt worden
sind. Und dann einfach alles "herauslassen" - und sie dabei noch mehr
kränken. Auf dass der "Wortkrieg" noch mehr angefacht werde.
Wissenschaftler haben dieses "Herauslassen" der Gefühle einmal an
siebenjährigen Jungen untersucht. Man trainierte dies mit ihnen,
indem man sie auf eine Puppe einschlagen ließ. Später
stellte sich heraus: Diese Jungen war sehr viel mehr aggressiver als
eine Vergleichsgruppe, bei der man diese "Behandlung" unterlassen
hatte. (nachzulesen bei: Dr. Tana Dineen, Manufacturing Victims: What
the Psychology Industry is Doing to People, 3. Auflage Montreal/New
York/Paris 2001, S. 122f)
Nein! Gott sagt: wir werden "das Leben sehen und gute Tage sehen",
nicht, wenn wir einfach "alles ungefiltert herauslassen". Sondern wenn
wir unsere Zunge unter Kontrolle halten. Ich rede jetzt nicht zu den
sanftmütigen Schäflein unter uns, die sich ohnehin kaum
trauen, einmal ihre Meinung zu sagen... Nein, die brauchen das nicht.
Aber für uns andere: Es liegt ein Segen darauf - und es lohnt
sich, wenn wir uns hier der Herausforderung stellen. Und daran
arbeiten, wie wir mit unserer Zunge umgehen. Unseren Herrn bitten, dass
er uns die rechte Weisheit und Zurückhaltung schenkt. Vielleicht
kann ich es ja ab und zu sogar mit Humor nehmen - und meine scharfen
Worte nicht dem Betreffenden sagen, sondern dem Badezimmerspiegel - das
schärft das deutsche Sprachgefühl...
Ich denke aber, es gibt noch einen tieferen Zusammenhang. Warum
unser Drang nach Vergeltung so ausgeprägt ist. Nicht immer ist es
der Zorn, der bald wieder verraucht, der Zorn, der uns hingerissen hat,
um Vergeltung zu üben. Nein, manchmal steckt es tiefer. Steckt
eine ganze Denkweise dahinter.
Ich meine dies: Schließlich, so sagt man sich - kann man sich ja
nicht alles gefallen lassen, ob man nun Christ ist oder nicht. Wenn ich
nicht zurückschlage - dann können die Anderen doch mit mir
machen, was sie wollen, oder? Dann werde ich schließlich
"untergebuttert". Ist es nicht so - wie in dem alten Sprichwort: Hilf
dir selbst, sonst hilft dir keiner? Also "kräftig drauf"? Und
Vergeltung geübt?
Wenn man es richtig betrachtet, beruhen auf diesem Prinzip ja alle
militärischen Strategien und die Kriegsführung. Wenn ein Land
einen begehrlichen Blick wirft auf ein anderes Land, das vielleicht
wertvolles Öl und andere Rohstoffe besitzt. Dann wird es sich
trotzdem genau überlegen, ob es dort einmarschiert. Vielleicht hat
das rohstoffreiche Land ja eine gut ausgerüstete Armee, und man
wird sich hüten, es anzugreifen. In den Zeiten des "Kalten
Krieges" wurde auf diese Weise sogar ein Atomkrieg verhindert. Beide
Seiten, Ost und West, wussten: Schieße ich meine Raketen zuerst
ab, dann werde ich eine halbe Stunde später von den Raketen des
Gegners getroffen. Also ließ man es tunlichst bleiben.
In der Welt, die von der Sünde geprägt ist. In der Welt, die
sich von Gott losgesagt hat. Da ist das Vergeltungsprinzip manchmal
unvermeidlich, um Schlimmeres zu verhindern. Traurig, aber wahr. Doch:
Ist das etwas, in das wir Christen uns auch einfügen müssen?
Nun wird es uns kaum gelingen, die ganze Welt zu Jesus Christus und
zu seiner Botschaft des Friedens zu bekehren. Immer wieder haben
Idealisten so etwas versucht, und sind dabei kläglich
gescheitert. Trotzdem - wenn wir als gläubige Menschen in unserem
eigenen Leben damit anfangen, dann haben wir schon eine ganze Menge zu
tun.
Entscheidend ist dabei: Petrus lässt es hier nicht einfach bei
einer Ermahnung zu einem friedfertigen Umgang miteinander. Petrus
zitiert hier einen Psalm, und der sagt in diesem Zusammenhang etwas
ganz Erstaunliches über unsere Gebete: "Denn die Augen des Herrn
sehen auf die Gerechten, und seine Ohren hören auf ihr Gebet; das
Angesicht des Herrn aber steht wider die, die Böses tun." Wenn wir
uns nicht selbst helfen. Wenn wir keine Vergeltung üben. Dann
hört Gott unsere Gebete; dann hilft er uns. Dann brauchen wir
keine Angst zu haben, dass wir "untergebuttert" werden. Und anders
herum: Wenn wir uns selbst helfen wollen, und zurückschlagen -
dann hilft er uns nicht, und wir können uns das Beten sparen. Denn
Gott "steht wider die, die Böses tun". Ich habe tatsächlich
Einfluss darauf, ob bei Schwierigkeiten Gott auf meiner Seite steht,
oder nicht! Ja - das stellt manches alltägliche Denken auf den
Kopf.
Manchmal ist dieser erstaunliche Zusammenhang geradezu mit Händen
zu greifen. "Vergeltet nicht Böses mit Bösem ...., sondern
segnet vielmehr..." - also, betet für eure Feinde. Und du betest
für den Chef, der nur schwer zu ertragen ist. Für den
Kollegen, der dir gern eins auswischen würde. Für den
Mitschüler, der die anderen in deiner Klasse gegen dich
aufstachelt. Du betest, und irgendwann merkst du: Es hat sich
tatsächlich etwas verändert. Nicht nur an dir und deiner
Einstellung. Sondern Gott hat ganz konkret eingegriffen und deine
Situation zum Guten gewendet. Hast du so etwas schon einmal erlebt? Es
ist gut, wenn wir uns in der Gemeinde solche Erfahrungen erzählen,
damit machen wir uns gegenseitig Mut. Man muss aber auch
hinzufügen: Nicht immer zeigt Gott so sofort, dass er unsere
Gebete hört und auf der Seite der Gerechten steht. Nein, manchmal
lässt Gott sich sehr viel mehr Zeit - bis ich sehe, wie ich von
ihm gesegnet werde. Und manchmal - gibt er mir auch "nur" - nur? - die
Kraft, dass ich mein Kreuz tragen kann. Dass ich die Situation aus
seiner Hand nehmen kann, in die er mich hineingestellt hat.
Aber eines darf ich wissen. In der Zeit, in der ich auf Gottes
Eingreifen warte. Eines darf ich da wissen: Gott ist auf meiner Seite.
Was nützt mir der kurzfristige Erfolg. Nach dem Prinzip "Hilf dir
selbst, sonst hilft dir keiner." Was hilft mir dieser Erfolg, wenn ich
weiß: "Das Angesicht des Herrn aber steht wider die, die
Böses tun"? Will ich mich auf einen Kampf mit Gott einlassen? Und
nichts anderes tue ich - wenn ich Vergeltung übe! Nein, das
nützt keinem etwas.
Wenn wir es also ganz nüchtern betrachten: Ich könnte mir
manche schlaflose Nacht ersparen, wenn ich mir nicht ausmale, wie ich
es dem anderen heimzahle. Wenn ich keine Vergeltung übe. Ein gutes
Gewissen ein sanftes Ruhekissen, wie es heißt. Und dieses gute
Gewissen darf ich dann haben, wenn ich nicht vergelte. Und darüber
hinaus kann ich gewiss sein: Ich brauche auch gar nicht zu kämpfen
und zu vergelten. Denn für mich kämpft ein Stärkerer als
ich. Der wird zu seiner Zeit eingreifen. Seine Ohren hören auf
unser Gebet. Ohne Zweifel!
Unser Herr Jesus Christus hat uns ein Beispiel hinterlassen, als er am
Kreuz hing. Er sah auf die Menschenmenge, die seinen Tod gefordert
hatte. Da betete er: "Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht was
sie tun." (Lukas 23:34) Jesus hat der Welt ihre Sünden nicht mit
gleicher Münze heimgezahlt. Sondern er trug ihre Sünden, und
litt und starb dafür.
Ich denke, es braucht einen langen Weg, um sich hier einzuüben. In
den Weg Jesu. Den Weg ohne Vergeltung. Weder der Vergeltung mit Worten.
Noch der Vergeltung mit Taten. Wahrscheinlich wird ein Christ sein
Leben lang damit nicht wirklich fertig. Und: Vielleicht haben es
diejenigen dabei besonders schwer. Diejenigen, bei denen alles gut
läuft im Leben. Die gewohnt sind, sich selbst zu helfen. Die
gewohnt sind, etwas aus ihrem Leben zu machen.
Aber es ist nicht nur ein langer Weg - es ist auch ein lohnender Weg.
Denn was wäre lohnender? Als die Erfahrung, dass ich immer mehr
merke: Gott steht wirklich auf meiner Seite? Er hört mein Gebet?
Lasst uns unseren Herrn bitten, dass er uns die Kraft gibt. Auf diesem
langen, lohnenden Weg zu bleiben. "Denn die Augen des Herrn sehen auf
die Gerechten, und seine Ohren hören auf ihr
Gebet." Amen.