Eine Frage im Advent: Was ist christliche Buße? - Predigt
über Lukas 3,7-14
7 Da sprach Johannes zu der Menge,
die hinausging, um sich von ihm taufen zu lassen: Ihr Schlangenbrut,
wer hat denn euch gewiß gemacht, dass ihr dem künftigen Zorn
entrinnen werdet? 8 Seht zu, bringt rechtschaffene Früchte
der Buße; und nehmt euch nicht vor zu sagen: Wir haben Abraham
zum Vater. Denn ich sage euch: Gott kann dem Abraham aus diesen Steinen
Kinder erwecken. 9 Es ist schon die Axt den Bäumen an die
Wurzel gelegt; jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen
und ins Feuer geworfen.
10 Und die Menge fragte ihn und
sprach: Was sollen wir denn tun? 11 Er antwortete und sprach zu
ihnen: Wer zwei Hemden hat, der gebe dem, der keines hat; und wer zu
essen hat, tue ebenso. 12 Es kamen auch die Zöllner, um sich
taufen zu lassen, und sprachen zu ihm: Meister, was sollen denn wir
tun? 13 Er sprach zu ihnen: Fordert nicht mehr, als euch
vorgeschrieben ist! 14 Da fragten ihn auch die Soldaten und
sprachen: Was sollen denn wir tun? Und er sprach zu ihnen: Tut
niemandem Gewalt oder Unrecht und laßt euch genügen an eurem
Sold!
Liebe Geschwister,
Wie reden wir als Christen in rechter Weise von der Buße? Der
Advent ist ja schon immer eine Zeit der Buße und Einkehr. In
manchen Kirchen ist das sichtbar bis hinein in die Farben, mit denen
Altar und Kanzel geschmückt werden: Violett ist die Farbe des
Advents, die gleiche Farbe wie in der Passionszeit. Wie kündigen
wir in rechter Weise diese Zeit der Busse an? Lasst uns dazu die
Botschaft Johannes des Täufers betrachten - jener Prediger der
Buße, der unserem Herrn den Weg bereitet hat.
1. Wer von Buße redet, der redet vom Gericht Gottes
Kann man heute überhaupt noch vom Gericht Gottes reden? Ohne dass
man in den Ruf kommt, ein altbackener Verkündiger zu sein, der ein
bedrückendes Bild von Gott hat, und die Leute aus der Kirche
treibt?
Manches ist dazu gesagt und geschrieben worden. Ich möchte nur ein
besonders typisches Beispiel herausgreifen: Der Psychoanalytiker
Tilmann Moser schrieb bereits 1976 das bis heute bekannte, umstrittene
Buch mit dem Titel "Gottesvergiftung" (hier zitiert aus der
Internetseite http://home.rhein-zeitung.de/~rdober/relkrit/moser.html).
Es ist ein Buch, dessen Gedanken - oft unbewusst - bis heute einen
großen Einfluss haben. Auch dann, wenn man weder das Buch noch
den Autor kennt - die Gedanken darin sind einem vielleicht schon
begegnet.
Tilmann Moser schreibt und rechnet dabei mit der christlichen Erziehung
seiner Kindheit ab. Eine Kindheit, in der er vom Gericht Gottes
erfahren hatte, und seit der er ständig in seinem Gewissen geplagt
wurde - bis er sich endlich davon frei machte. Bis er endlich
nicht mehr von einem falschen Gottesbild innerlich "vergiftet" wurde,
wie er das ausdrückt.
Die Opferung Jesu erscheint ihm unter diesem Blickwinkel nur noch als
Hohn. Er schreibt in seinem Buch, und er redet dabei Gott an, in einem
eigentümlichen "Gebet": "Und wiederum habe ich versucht, auf
allgemeine Aufforderung hin, dich anzustaunen, weil du für mich
armen Sünder deinen einzigen Sohn geopfert hast. Das macht
natürlich Eindruck. Wie schlecht muss ich sein, dass es einer
solchen Inszenierung bedarf, um mich zu erlösen! Seltsam, seltsam
- keiner von den Predigern hat je Verdacht geschöpft, dass
vielleicht nicht mit uns, sondern mit dir etwas nicht stimmt, wenn du
vor lauter Menschenliebe deinen Sohn schlachten lassen musstest. Und
uns gibst du ihn dann zu trinken und zu essen, wie es heißt, zur
Versöhnung." Soweit das "Gebet" von Tilmann Moser, in dem er
mit seinem Gott redet. Auch wenn man den Autor und das Buch nicht kennt
- die Gedanken darin hört man bis heute auf die verschiedenste
Weise, auch im Raum der Kirchen. Aber auch in unseren Gemeinden gibt es
das ja, auf andere Weise: dass ein Mensch "Schluss gemacht" hat mit dem
Glauben, der ihm von Elternhaus und Sonntagsschule her vertraut war.
"Gottesvergiftung" - hat also Johannes der Täufer alles falsch
gemacht und ein geradezu furchtbares Gottesbild verbreitet? Und: warum
sind die Leute so zahlreich zu ihm an den Jordan gekommen, wenn sie
dort nur von einem "krankmachenden" Glauben hörten? "Ihr
Schlangenbrut, wer hat euch denn gewiss gemacht, dass ihr dem
zukünftigen Zorn entrinnen werdet? ... Es ist schon die Axt den
Bäumen an die Wurzel gelegt..." Würdet ihr zu mir in den
Gottesdienst kommen, wenn ich euch statt "Liebe Geschwister" mit "Ihr
Schlangenbrut" anreden würde...?
Es scheint so, als würden alle diese Bedenken Johannes nicht im
mindesten stören. Er weiss um seinen Auftrag: "Bereitet den Weg
des Herrn ...!" (Lukas 3,4) Und deshalb redet er vom Herrn Jesus
Christus so, wie dieser wirklich ist: Das Lamm Gottes, das sich am
Kreuz blutend für den sündigen Menschen hingibt. "Siehe, das
ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!" (Johannes 1:29)
Aber er redet auch von Jesus als dem Richter, der bei seiner zweiten
Ankunft auf der Erde nicht mehr arm und klein kommt, sondern als der
unumschränkte Herr, vor dem sich alle Knie beugen müssen
(vgl. Philipper 2:10).
Warum tut er das? Nun - Johannes der Täufer war ja der erste Zeuge
Jesu: Bereitet den Weg des Herrn! Das war sein Auftrag. Und zu einem
rechten Zeugen gehört nun einmal dazu, sich an die Tatsachen zu
halten. Was schon - ganz "weltlich" - für den wahrhaftigen Zeugen
eines Verkehrsunfalles gilt, wie viel mehr wird das für den Zeugen
Jesu gelten! Wir haben keinen Jesus zu verkündigen, der
ausschliesslich "lieb" ist und uns gefällt. Sondern wir bezeugen
einen Herrn, von dem es im Jüngsten Gericht heisst: "Dann
wird er auch sagen zu denen zur Linken: Geht weg von mir, ihr
Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen
Engeln!" (Matthäus 25:41)
Wenn wir vom Advent, von der Ankunft des Herrn reden. Dann haben wir
als rechte Zeugen Jesu eben auch von seiner zweiten Ankunft, von seiner
Wiederkunft zum Gericht, zu reden. Wir tun das nicht, weil wir
Freude daran haben, anderen Angst einzujagen - hoffentlich nicht! Wir
wollen mit solch harten Worten auch niemanden dazu bringen, dass er an
"Gottesvergiftung" leidet. Sondern wir reden so, weil wir nicht in
eigener Sache beauftragt sind.
Geschwister, haben wir noch den Mut dazu, die ganze Botschaft unseres
Herrn zu bezeugen? So, dass wir beim Neuanfang, bei der Buße,
auch über das Gericht Gottes reden? Oder kreisen wir die ganze
Zeit angstvoll um die Frage: Was werden wohl die Leute sagen? Werden
wir sie nicht abschrecken oder falsche Ängste in ihnen wecken?
Werden sich die Kirchenbänke noch mehr leeren? Aber schauen wir
uns die Frage nach der Buße noch näher an. Vielleicht werden
die Zusammenhänge dann noch klarer. Deshalb:
2. Wer von Buße redet, der geht auf die große Not
der Selbstgerechtigkeit ein
Wie auch sonst oft beim Lesen der Bibel, ist es nützlich, sich zu
fragen: Wem wurden diese Worte zuerst gesagt? Während wir hier
lesen, dass Johannes zu der Menge seiner Taufanwärter redet. So
lesen wir in der Parallelstelle im Matthäusevangelium
(Matthäus 3:7) noch von einer besonderen Art von Publikum: "Als er
nun viele Pharisäer und Sadduzäer sah zu seiner Taufe
kommen..." So kann man vielleicht sagen: Ihnen, den Pharisäern und
Sadduzäern, galten diese Worte zuerst - aber die anderen sollten
dabei unbedingt zuhören.
Gerade von den Pharisäern ist bekannt, dass nicht nur Johannes,
sondern auch Jesus oft harte Auseinandersetzungen mit ihnen hatte.
Einmal, da redet Jesus zu ihnen fast wie hier der Täufer: "Ihr
Schlangen, ihr Otternbrut! Wie wollt ihr der höllischen Verdammnis
entrinnen?" (Matthäus 23:33) Warum reden Jesus und Johannes so
hart zu den Pharisäern?
Und: Ist das der gleiche Jesus, der voller Liebe die Sünder zu
sich ruft? Ist das der gleiche Jesus, der zu dem ehemals raffgierigen
Zöllner Zachäus sagt: "Heute ist diesem Hause Heil
widerfahren, denn auch er ist Abrahams Sohn. Denn der Menschensohn ist
gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist." (Lukas
19:9-10) - ? Auch die Pharisäer rühmten sich ja ihrer
Abstammung vom alten Stammvater Abraham: "Wir haben Abraham zum Vater."
Doch Johannes antwortet ihnen: Das nützt euch überhaupt
nichts im kommenden Gericht. "Gott kann dem Abraham aus diesen Steinen
Kinder erwecken."
Wenn wir die Busspredigt des Täufers, und später die
Verkündigung Jesu betrachten, dann können wir sagen: Eine
rechte Busspredigt wird nicht jedem Menschen das Gleiche sagen, sondern
auf seine geistliche Not eingehen. Und die Not der Pharisäer war
nun einmal nicht, dass sie völlig geknickt und verzweifelt vor
Gott standen - mitnichten! Sie hielten sich vielmehr für die
geistliche Elite ihres Landes, zu Recht stolz auf ihre Abstammung von
Abraham. Selbstgerecht waren sie, und sie wären nie auf die Idee
gekommen, dass sie einen Heiland für Sünder brauchen
könnten. So überzeugt waren sie von sich selbst und von ihren
Ansichten, dass sie zuerst Jesus, und später die Gemeinde Jesu
verfolgten. Denken wir hier auch an den "großen"
Christenverfolger Paulus.
So können wir von daher das Zeugnis vom Gericht Gottes noch etwas
genauer beschreiben: Dieses Zeugnis ist vor allem für die wichtig,
die denken, sie hätten schon alles, und sie bräuchten nichts
mehr. Für solche, die sich sagen: ich bin doch getauft, ich bin
doch Kirchenmitglied, ja, ich arbeite sogar in der Gemeinde mit, ich
bin dort angesehen. Sollte mit mir irgendetwas nicht in Ordnung sein?
Könnte man mir - abgesehen von einigen unbedeutenden "Schnitzern"
- irgendetwas vorwerfen? Die sind wahrlich in großer geistlicher
Not. Wie sagt Jesus in den Sendschreiben der Offenbarung zu solchen
Gemeindegliedern: "Du sprichst: Ich bin reich und habe genug und
brauche nichts! und weißt nicht, dass du elend und
jämmerlich bist, arm, blind und bloß." (Offenbarung 3:17)
Aber auch Menschen, die denken, sie könnten ohne Gott und ohne
Kirche ganz gut im Leben klar kommen. Die denken, dass ein Heiland
für Sünder wohl das letzte ist, was ihnen noch zu ihrem
Glück fehlt. Auch die müssen die Botschaft vom kommenden
Gericht hören - damit ihre Art von Selbstgerechtigkeit
zerstört wird, damit ihr Gewissen aufwacht und sie unruhig werden.
Haben wir den Mut, gerade solchen Selbstgerechten nicht die
nötigen, deutlichen Worte zu ersparen! Das ist - recht angewendet
- ein Ausdruck von echter Liebe. Denn: Wenn wir ihnen Honig um's Maul
schmieren, dann werden wir sie in ihrer Haltung nur bestärken.
Ihre geistliche Not wird immer grösser werden. So aber können
wir mithelfen, ihre Seele zu retten. Oder, wie es beim Täufer
heißt: Ihnen einen Weg bahnen zum Herrn Jesus.
Denn den Weg zu Jesus finden nur die Sünder. Die, die erschrocken
sind über sich selbst und über das Gericht Gottes. Diesen Weg
finden dagegen niemals die Selbstgerechten. Wie sagt Jesus: "Die
Starken bedürfen keines Arztes, sondern die Kranken. Ich bin
gekommen, die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten. " (Markus
2:17) Bist du ein solcher Sünder - so wie ich auch? Dann lass' uns
zusammen voller Freude die Adventslieder singen, die Lieder, die von
unserem Heiland zeugen, dem Heiland für die Sünder.
3. Wer von Buße redet, der redet nicht von religiösen
Zeremonien, sondern von Lebensveränderung
Nun ist die Selbstgerechtigkeit ein wirklich hartnäckiges Leiden,
wenn es nicht gründlich auskuriert wird. Der Mensch, schlau wie er
ist, hört vom Gericht Gottes, und sein Gewissen wacht auf. Das ist
ein unangenehmer Zustand - man wird vielleicht unruhig, kann schlecht
schlafen usw. So beschliesst er, etwas dagegen zu unternehmen. Was ist
da eines der beliebtesten Heilmittel?
Der Mensch wird - religiös. Jawohl, religiös. Meiner Meinung
nach ist das eine der wichtigsten Quellen für Religiosität -
und ich meine mit Religiosität nicht den biblischen Glauben. Ja,
eine der wichtigsten Quellen ist: Der Mensch möchte sein
aufgescheuchtes Gewissen beruhigen - auch wenn er das wahrscheinlich
nie zugeben würde. Und so richtet er sich religiöse
Zeremonien ein, die in irgendeiner Weise die Gottheit milde stimmen
sollen - denn man möchte ja dem zukünftigen Zorn nur allzu
gern entrinnen, und wieder ruhig schlafen können.
Regelmässiger Kirchgang, ein anständiges bürgerliches
Leben, Fastenzeiten, Weihrauch, lange Gebete, ins Kloster gehen,
Heilslieder singen, der diensteifrigste Methodist der Gemeinde werden,
Wallfahrten, nach Mekka pilgern, eine Kerze anzünden in einem
indischen Tempel, Heiligenbilder tragen, ein Hufeisen ans Auto
schrauben... Die Möglichkeiten und Zeremonien sind schier
unerschöpflich, die der religiöse Mensch überall auf der
Welt sucht.
Auch die Pharisäer zur Zeit Jesu hatten da ihre Methoden.
Matthäus widmet ein ganzes Kapitel seines Evangeliums der
Auseinandersetzung Jesu. Der Auseinandersetzung mit dieser Art von
religiösem Menschen. Einmal, da nimmt er in sehr ironischer Weise
ihren Eifer auf''s Korn, mit dem sie von ihrem Einkommen den zehnten
Teil für die Synagoge und den Tempel abgeben: "Weh euch,
Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr den Zehnten
gebt von Minze, Dill und Kümmel und laßt das Wichtigste im
Gesetz beiseite, nämlich das Recht, die Barmherzigkeit und den
Glauben! Doch dies sollte man tun und jenes nicht lassen."
(Matthäus 23:23)
Viele Menschen, die hier den Täufer hören. Bei denen ist das
anders. Sie machen keine Ausflüchte, und sie suchen den Ausweg
auch nicht in einer religiösen Scheinbuße. "Was sollen wir
denn tun?" So fragen sie. Eine solche Frage - aufrichtig gestellt - ist
das Kennzeichen einer jeden echten Buße. Wenn Menschen vom Geist
Gottes getroffen und bewegt werden. Dann fragen sie: Was sollen wir
tun? Wie sollen wir unser Leben ändern, wenn wir neu anfangen
wollen?
Und das ist eine Frage, die ganz spontan kommt. Ich glaube nicht, dass
man den Zöllnern, den Soldaten und den anderen Zuhörern hier
einfach eine Werkgerechtigkeit unterstellen sollte. So, als ob sie
damit fragen wollten: Was sollen wir alles tun, damit wir uns unser
Heil verdienen und dem Gericht entkommen können? Nein - ich sehe
in dieser spontanen Frage vielmehr eine der "rechtschaffenen
Früchte der Buße", die Johannes erwähnt hat.
Und manchmal - manchmal muss man für diese Früchte der
Buße gar nicht erst nach einer Anweisung Gottes fragen. Denken
wir wiederum an den Zöllner Zachäus. Der sagte zu Jesus,
nachdem der bei ihm als Gast gekommen war, er sagte ganz spontan:
"Siehe, Herr, die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen, und
wenn ich jemanden betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück."
(Lukas 19:8) Jesus hatte ihm eine echte Buße geschenkt, und nun
weiss Zachäus von selbst, was in seinem Leben "dran" ist. Ja, das
sind echte geistliche Früchte - und das ist viel mehr, als das
blosse Einhalten von Zeremonien, mehr als eine religiöse
Scheinbuße, die auf halbem Wege stehenbleibt.
Liebe Geschwister, wollen wir es wagen, im Advent von echter Buße
zu reden? Uns selbst auch unter diese Buße zu stellen? Dann lasst
uns die ganze Botschaft verkündigen. Die Botschaft, die das
kommende Gericht Gottes nicht verschweigt. Die Botschaft, die alle
Selbstgerechtigkeit aufdeckt. Die Botschaft, die den Weg frei macht
für den Heiland. Den Heiland, der weit geöffnete Arme hat -
für jeden Sünder, der zu ihm zurückkehrt. Der Heiland,
der unser ganzes Leben verändert, von innen heraus. Wer so redet
und glaubt - der macht wahrlich den Weg frei für den Advent,
für die Ankunft unseres Herrn. Amen.
zurück zur Übersicht