Liebe Geschwister,
Jesus ist aus der Ewigkeit zu uns gekommen. Und er war sich nicht zu schade,
einer von uns zu werden - einer von den Ärmsten der Menschen. Genau
aus dem Grunde kann er unser Friede sein. "Er wird der Friede sein."
Schon die Sterndeuter aus dem Orient - die "Heiligen drei Könige aus
dem Morgenland" - wie sie später volkstümlich genannt wurden. Schon
sie mußten sich fragen, was das für ein Kind sei. Zu dessen Ehre
ein Stern zum Wegweiser wird. Ob sie ahnten, vor wem sie niederknieten? Als
sie vor der Krippe angebetet haben? Ob sie ahnten, daß dort ein leibhaftiges
Stück Ewigkeit vor ihnen lag?
Zu Recht wird auch König Herodes unruhig, als er von ihnen hört,
wen sie, die Forscher aus dem Ausland suchen (Matthäus 2). Herodes, dieser
gefürchtete Herrscher - er kannte das Alte Testament sehr gut. Er kannte
die hebräische Sprache. Er wußte, es heißt dort: "dessen
Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist" - stärker kann
man es auf hebräisch kaum sagen. Wenn man ausdrücken will: jemand
oder etwas ist von unbegrenzter, von ewiger Dauer. Ja, er war zu Recht beunruhigt,
über das, was da "vom Himmel hoch" direkt "vor seine Haustür",
nach Bethlehem kam.
Und in der Tat - es ist ganz und gar nicht niedlich und beschaulich, was
sich dort in der Krippe abspielt. In den Kinos kommen immer wieder einmal
- manchmal ausgezeichnet gemachte - Filme. Wo man sich vorstellt, wie eines
Tages unglaublich mächtige außerirdische Wesen über der Erde
erscheinen. Und von unserer Welt Besitz ergreifen wollen. Spannend, spannend!
Und manche glauben sogar, so etwas könnte eines Tages tatsächlich
geschehen...
Nur eines wollen viele nicht glauben. Daß es vor 2000 Jahren eine viel
bedeutendere "Invasion" gegeben hat. Daß nämlich der Herr des
ganzen Universums. Auf einmal mitten unter uns aufgetaucht ist. "Am Anfang
war das Wort." Und: "Er kam in sein Eigentum." (Johannes 1) So schreibt Johannes
am Anfang seines Evangeliums. "Der in Israel Herr sei." "Er wird auftreten
... in der Macht des Namens des Herrn." "...dessen Ausgang von Anfang und
von Ewigkeit her gewesen ist." So sagt der Prophet Micha diese "Invasion"
voraus.
Vielleicht -vielleicht bleibt da manchem der Pfefferkuchen unversehens im
Hals stecken. Und die süßen, holdseligen Weihnachtslieder verstummen.
Wenn er den Ruf hört: Alarm, Alarm - eine Invasion! Der Herr der Welt
ist bei uns "einmarschiert", um sich sein Eigentum zurückzuholen. Vielleicht
führt der Ruf aber auch einfach nur - zur Anbetung. In stiller Ehrfurcht.
So wie bei den Sterndeutern aus dem Orient. Wer weiß. Hauptsache, ich
halte das Kind in der Krippe nicht für allzu niedlich, "dessen Ausgang
von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist."
Es ist schon merkwürdig, daß Jesus. Daß der Herr der Welt.
Ausgerechnet in Bethlehem ein Mensch wird. Nicht, daß sich in Bethlehem
"Fuchs und Hase gute Nacht sagen". Allzuviel größer und bedeutender
war es allerdings nicht. "Ein kleines Kaff" - würde man heute sagen.
Nur zu finden auf den Landkarten mit dem größeren Maßstab,
man fährt sonst leicht daran vorbei. Den zukünftigen "Herrn in
Israel" würde man doch eher in der Hauptstadt erwarten, oder?
Nun - es gehört zu den hervorstechendsten Eigenschaften Gottes. Daß
er immer wieder unsere Vorstellungen durchkreuzt. Er tut das mit voller Absicht.
Er ist nicht so, wie wir ihn gern hätten. Er ist auch nicht immer so,
wie wir befürchten. Sondern er ist einfach - Gott, und wir die Menschen.
Die Menschen, die doch so wenig von ihm wissen und ihre "Luftgespinste" (aus
dem Lied: Der Mond ist aufgegangen GB2002 Nr.635,4) darüber spinnen.
Paulus hat dieses Grundprinzip Gottes in seinem ersten Korintherbrief auf
den Punkt gebracht (1 Kor 1): "27 ... was töricht ist vor der Welt,
das hat Gott erwählt, damit er die Weisen zuschanden mache; und was
schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zuschanden
mache, was stark ist; 28 und das Geringe vor der Welt und das Verachtete
hat Gott erwählt, das, was nichts ist, damit er zunichte mache, was
etwas ist, 29 damit sich kein Mensch vor Gott rühme."
Deshalb war Gottes "Invasion", seine "Wiedereroberung" unserer - eigentlich
seiner! - Welt so ganz anders. Und begann in "Bethlehem Ephrata, die du klein
bist unter den Städten in Juda" - nicht in der Hauptstadt, sondern eben
in einem "Kaff". Deshalb begann alles nicht mit Blitz und Donner - obwohl
Gott dazu in der Lage gewesen wäre! Sondern es begann mit einem kleinen
Kind in der Krippe.
Auch Martin Luther hat immer wieder gern darauf hingewiesen, daß gerade
das Gottes Art ist: Gott verbirgt sich "unter dem Schein des Gegenteils",
so formulierte er das. Wir sehen das unbedeutende Bethlehem, den Stall, die
Krippe, das Kind und die Windeln. Und doch hält dieses Kind die Sterne
in seiner Hand - jeden einzelnen. Auch den Stern hat es in der Hand gehalten,
der den Sterndeutern den Weg nach Bethlehem gezeigt hat. Wir sehen ein armes
kleines Menschenkind - und doch ist darin der verborgen, "dessen Ausgang
von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist". "Den aller Weltkreis nie beschloss,
der liegt in Marien Schoß; er ist ein Kindlein worden klein, der alle
Ding erhält allein." So dichtet Luther darüber in einem seiner
Weihnachtslieder (GB2002 Nr.167,3).
Schon immer haben sich Menschen gefragt: Warum macht Gott eine so komplizierte
"Veranstaltung"? Warum müssen wir als Christen etwas glauben, das eigentlich
kein Mensch versteht? Wir sollen an einen glauben, der einerseits aus der
Ewigkeit kommt, und Herr über alles ist? Und andererseits ist er ebenso
ein kleines Kind, und ein geschundener Mann am Kreuz? Sollen glauben an Jesus,
den Gott-Menschen? Macht Gott es uns damit nicht unnötig schwer?
Bestimmt hat der eine oder andere von uns schon Zeichnungen gesehen, wo das
Verhältnis zwischen Gott und Mensch so dargestellt war: Auf der einen
Seite Gott. Dann ein tiefer Graben - der steht für die Sünde. Und
auf der anderen Seite der Mensch - getrennt von Gott, durch den Graben, durch
seine Sünde. Dort, auf dieser Seite. Da ist der Mensch, der für
sich lebt - in Feindschaft mit Gott. Man stellt dann auf einer solchen Zeichnung
dann oft noch eine Brücke dar, die über den Graben führt:
ein Kreuz, oder irgendein anderes Zeichen für Jesus. So kann der Mensch
zurück, in die Gemeinschaft mit Gott.
Es ist eine sehr gute Zeichnung, um unsere Erlösung zu erklären.
Ich möchte aber etwas genauer hinschauen, als man es vielleicht gewöhnlich
tut. Wie es denn bei Brücken, die über das Wasser ein Land mit dem
anderen verbinden? Denken wir etwa an die neue beeindruckende Brücke
über den Öresund. Da fährt man in Dänemark los, fährt
über dem Meer, und auf einmal, unversehens, ist man in Schweden. So eine
Verbindung kann nur dann funktionieren, wenn die beiden Länder sich
vorher einigen: die Brücke ist auf der einen Seite dänisch, gehört
zu Dänemark, und auf der anderen Seite ist sie schwedisch. Das liegt
in der Natur der Sache. Und wenn es nicht so wäre - wie sollte dann
eine solche Brücke möglich sein? Wie sollte sie die beiden Länder
verbinden?
Der Prophet Micha sagt über Jesus, den Messias: "Er wird der Friede sein."
Er wird die Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch wiederherstellen.
Wenn Jesus eine solche "Friedensbrücke" ist, zwischen dem "Land
Gottes" und dem "Land des Menschen". Dann ist es - vielleicht - etwas verständlicher.
Daß er einmal auf die Seite der Ewigkeit gehört, zum "Land Gottes".
Und daß er auf der anderen Seite ganz und gar Mensch ist, als kleines
Kind geboren, in einem unscheinbaren Ort im "Land der Menschen". Deshalb kann
Jesus die "Friedensbrücke" sein. Der Vermittler zwischen Gott und Mensch.
Weil er beides ist - eben ein "Gott-Mensch".
Wem das immer noch zu hoch ist - der mag sich auf die "Weihnachtsfrage" beschränken:
Es ist schon wahr, daß Jesus der Friede schlechthin ist. Die Frage
ist jedoch: Ist er auch mein Friede? Schon bei Herodes und bei den
Sterndeutern sehen wir, wie man ganz verschieden umgehen kann. Mit dem, was
Micha hier über den Erlöser sagt. Als Herodes über den Herrscher
der Welt hört, der nach Bethlehem kommt. Da bekommt er es mit der Angst
zu tun. Weg mit diesem Kind, weg damit! Ob es wirklich nur die Angst um seinen
Königsthron war, weil jetzt der "Herr in Israel" geboren wurde? Ich
weiß nicht. Auch die Juden wußten damals schon um ein Jüngstes
Gericht. Ob Herodes ahnte, daß er mit seinem Kampf gegen Jesus? Daß
er in der endgültigen Friedlosigkeit enden würde? In der ewigen
Gottesferne?
Wie anders dagegen die Sterndeuter! Sie fanden den Weg nach Bethlehem. Sie
gingen in den Stall. Sie fielen vor der Krippe nieder, und beteten das Kind
an. Und auch dann, wenn sie es noch nicht richtig verstanden. Daß dort,
in den Windeln. Daß dort ein "Gott-Mensch" vor ihnen lag. Eines, denke
ich, konnten sie erahnen. Daß nämlich dieses Kind ihr Friede
war. Daß dieses Kind sie in die Gemeinschaft mit Gott zurückführt.
Weil es Gottes "Friedensbrücke" war. Die "Friedensbrücke", die
Gott aus der Ewigkeit gelegt hat, zu uns. In das "Land der Menschen". Laßt
uns die "Weihnachtsfrage" so beantworten, wie diese "Heiligen Drei Könige".
Und sagen: Ja, Jesus. Du Kind in der Krippe. Du Herr der Welt. Du sollst
mein Friede sein. Ich will niederknien und dich anbeten. Den anbeten, "dessen
Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist". Amen.