Der Glauben in der Anfechtung, 1. Teil - Predigt über Jakobus
1,2-4
2 Meine lieben Brüder, erachtet
es für lauter Freude, wenn ihr in mancherlei Anfechtungen fallt, 3
und wißt, daß euer Glaube, wenn er bewährt ist, Geduld
wirkt. 4 Die Geduld aber soll ihr Werk tun bis ans Ende, damit ihr
vollkommen und unversehrt seid und kein Mangel an euch sei.
Liebe Geschwister,
vom Leben verwöhnte Menschen geraten manchmal auf seltsame Wege.
So konnte man kürzlich (Freie Presse 28.06.2007, S.12) über
eine milliardenschwere junge Frau in der Zeitung lesen: "Paris Hilton
aus Haft entlassen. Hotelerbin Paris Hilton ist wieder frei. Die
26-Jährige wurde gestern kurz nach Mitternacht aus dem
Frauengefängnis im kalifornischen Lynwood entlassen. Dort hatte
sie ihre Strafe wegen Alkohols am Steuer und Verstoßes gegen
Bewährungsauflagen abgesessen. Hilton war wegen guter Führung
bereits nach 23 Tagen ihrer insge-samt 45-tägigen Haftstrafe
freigekommen. Wenig erfreut über die vorzeitige Haftentlassung
zeigten sich Hiltons Nachbarn in den Hollywood Hills. Seit Tagen
verteilen die Einwohner der Nobel-Enklave oberhalb des Sunset
Boulevards Flugblätter, auf der sie gegen ihre ungeliebte
Nachbarin Sturm laufen. Neben der Belagerung durch die Pressefotografen
leiden die Einwohner nach eigenen Angaben unter dem Lärm der
wilden Partys, die die 26-Jährige gerne und häufig in ihrem
Haus organisiert."
Ja, manchmal ist es nicht gut, wenn es einem allzu gut geht... Bernhard
Bueb, ehemaliger Schulleiter von Schloss Salem am Bodensee,
Deutschlands berühmtestem Nobel-Internat für die Söhne
und Töchter der "Höheren Kreise", er schrieb kürzlich
ein viel beachtetes Buch. Es trägt einen deutlichen Titel: "Lob
der Disziplin". Vielleicht hätte Paris Hilton ja bei ihm in die
Schule gehen sollen, ihr Vater hätte sich das Schulgeld sicher
leisten können...
Ja - auch wenn man keinem ein Leben in Armut wünscht. Ein junger
Mann, der von seinen reichen Eltern schon zum 18. Geburtstag einen
Porsche bekommt, und dem im Leben alle Steine aus dem Weg geräumt
werden - der wird es sehr schwer haben, sich zu einer reifen,
verantwortungsvollen Persönlichkeit zu entwickeln. Manche
älteren Menschen, die noch die Not der Nachkriegszeit mitbekommen
haben, und die sich alles hart erarbeiten mussten, würden das
bestätigen. Kürzlich las ich einige aktuelle Berichte von
osteuropäischen Auswanderern, die - trotz guter Ausbildung - aus
ihrer Heimat in andere Länder gingen, um dort eine Arbeit zu
finden. Einer von ihnen sagte sinngemäß: "Man kann es im
Leben nicht zu etwas bringen, wenn man nie einmal 'so richtig auf die
Fresse geflogen' ist." Das ist hart ausgedrückt, aber es hat
sicher einen Kern von Wahrheit.
2 Meine lieben Brüder, erachtet es für lauter Freude,
wenn ihr in mancherlei Anfechtungen fallt...
So schreibt Jakobus am Anfang seines Briefes. Wenn wir das vorhin
Gesagte mit bedenken, dann erscheint uns dieser Satz vielleicht nicht
mehr ganz so widersinnig, so fremdartig. Denn, Hand auf's Herz,
so klar ist es doch auch für einen Christen nicht: Warum sollte
ich mich in Zeiten der Anfechtung, der Not freuen? Soll ich mich
freuen, wenn ich meine Arbeit verliere? Soll ich mich freuen, wenn
meine Familie zerbricht? Soll ich mich freuen, wenn ich plötzlich
von einer Krankheit niedergeworfen werde, und es besteht - menschlich
gesehen - keine Aussicht auf Besserung? So etwas - das kann doch nur
ein Mensch tun, der ohnehin schon seelisch völlig "verbogen" ist,
aber doch kein "Normaler", oder? Ja, warum sollten sich die
Empfänger des Jakobusbriefes freuen? Viele von ihnen waren wohl
Judenchristen - in der damaligen Gesellschaft fast eine Art Abschaum.
Ihre heidnische Umgebung konnte schon mit ihrem jüdischen Glauben
nichts anfangen. Und jetzt, wo sie dazu noch Jesus als ihren Messias
angenommen hatten, da wurden sie zusätzlich von ihren eigenen
jüdischen Volksgenossen weggestoßen, ja oft sogar hart
bekämpft. Warum sollten sie sich freuen?
Dennoch - es gibt nicht nur bei ganz weltlichen Menschen eine
grundsätzliche Lebensweisheit, die besagt: Ein Mensch wird nur
dann wirklich lebenstüchtig, wenn er gelernt hat, dass er sich
durch Schwierigkeiten kämpfen muss. Wem von Jugend an "die
gebratenen Tauben in den Mund fliegen", der wird es wahrscheinlich zu
nichts bringen. Auch im geistlichen Bereich hat sich immer wieder diese
Weisheit bewahrheitet. Martin Luther sagte einmal: "Die schlimmste
Anfechtung ist gar keine Anfechtung." Warum? Er meinte damit: sonst
werden wir lau und träge im Glauben, im Gebet, in der
Beschäftigung mit dem Wort Gottes. Und vor allem wächst in
uns der Erzfeind des Glaubens heran: der natürliche Stolz des
Menschen, der glaubt "ich kann alles, ich bringe es weiter, schaut her,
was ich leiste".
So wird schon klarer, warum es meiner Lebenstüchtigkeit, aber vor
allem meinem Glauben nicht gut tut, wenn immer alles glatt geht.
Aber auch dann bleibt die Frage: Wenn das so ist, dann ist es
wohl für ein Christenleben am besten, wenn es mal etwas leichter
geht, mal etwas schwerer - sozusagen ein gesundes Mittelmaß an
Belastungen. Aber: Mich freuen, wenn ich in Anfechtung falle? Die Not
begrüßen, wie einen guten Freund, der mir weiterhilft? Wie
soll das gehen? Darum:
3 und wißt, daß euer Glaube, wenn er bewährt ist,
Geduld wirkt.
Ich sprach einmal mit einem alten Mann über Gott, und über
seine Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg. Er sagte mir
sinngemäß: "Ich habe meinen Glauben damals in Stalingrad
verloren." Damals, in diesen grausamen Stunden des Zweiten Weltkriegs.
Er fragte sich: Wie kann ein Gott der Liebe so etwas zulassen? An so
einen Gott konnte und wollte er nicht mehr glauben. Und so hatte er
für sich "mit Gott abgeschlossen". Hier hat die Anfechtung also
nicht den Glauben gestärkt, sondern direkt in die Gottlosigkeit
geführt - oder?
Hören wir noch einen Anderen. Er beschreibt, wie er im
Gefängnis saß, wie er geschlagen wurde, wie er Schiffbruch
erlitt, wie die "lieben Mitchristen" Intrigen gegen ihn anzettelten -
und vieles mehr. (lies z.B. 2. Korinther 11:16-33) Aber was sagt er,
wie er im Glauben damit umgegangen ist (Römer 5): "3 Nicht allein
aber das, sondern wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil
wir wissen, daß Bedrängnis Geduld bringt, 4 Geduld aber
Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, 5 Hoffnung aber
läßt nicht zuschanden werden; denn die Liebe Gottes ist
ausgegossen in unsre Herzen durch den heiligen Geist, der uns gegeben
ist." Ihr habt es vielleicht schon erraten: Es war der Apostel Paulus,
der das geschrieben hat.
Wie kommt er dazu, so zuversichtlich über seine Bedrängnisse
zu schreiben - während der alte Mann davor mit Gott und dem
Glauben abgeschlossen hat? Ich denke, der entscheidende Unterschied ist
dieser Satz von Paulus: "Denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre
Herzen durch den heiligen Geist, der uns gegeben ist." Nein - einen
echten Glauben an den gekreuzigten Herrn. Einen Glauben, der mir die
ganze Liebe meines Erlösers gezeigt hat, den Erlöser, der
mich von meiner Schuld befreit hat. Einen solchen Glauben kann man
nicht verlieren - weder in Stalingrad noch sonst wo. Dafür sorgt
nicht meine innere Stärke, nicht meine "Glaubensfestigkeit" -
dafür sorgt der Heilige Geist.
Es ist wahr - ein allgemeiner Glauben an einen Schöpfer im Himmel.
An einen, der auf mich aufpasst und mich auch beschützt. Ein
Glaube, dass irgendwo da oben ein guter Vater sein muss. Wenn das alles
ist, was ich glaube. Oder wenn es das Wichtigste ist an meinem Glauben.
Dann werde ich mit diesem "Glauben" scheitern - sobald eine echte
Belastungsprobe, eine große Anfechtung kommt. Ein Glaube dagegen,
der in der Mitte den gekreuzigten und auferstandenen Christus hat.
Seine Erlösung, seine Vergebung der Sünden, seine Errettung.
Ein solcher Glaube wird auch in der Anfechtung standhalten, selbst wenn
es mir schlecht geht, wenn ich keinen Ausweg mehr sehe, wenn Gott mir
ganz fern erscheint, wenn ich ihn nicht mehr verstehe, und ich nichts
mehr von ihm fühle. Selbst dann wird dieser Glaube halten -
weil der Heilige Geist mich immer wieder der Liebe Gottes gewiss macht,
und mich schließlich das Licht am Ende des Tunnels sehen
lässt.
Ja, es ist schon wahr. In der Anfechtung, da trennt sich - was den
Glauben betrifft. Da trennt sich die Spreu vom Weizen. Aber wenn wir
den Jakobusbrief richtig verstehen wollen - nicht nur an dieser Stelle.
Dann müssen wir wissen: Jakobus setzt diese Grundkenntnisse bei
seinen Lesern schon voraus. Er rechnet damit, dass sie bereits wissen,
was ein echter, lebendiger Glaube an Jesus Christus ist. Und dann sagt
er ihnen: Wenn ihr einen solchen Glauben habt, dann wisst, dass ihr ihn
nicht verlieren werdet, auch nicht in der Anfechtung. Sondern
"wißt, daß euer Glaube, wenn er bewährt ist, Geduld
wirkt". Und das ist doch schon ein erster Grund zur Freude, von der er
am Anfang geschrieben hat, oder? Die Freude darüber, dass nichts
und niemand mich von meinem Heiland trennen kann - komme was wolle.
Wir wollen das noch etwas praktischer unter die Lupe nehmen.
Zunächst redet Jakobus davon, dass der Glaube in der Anfechtung
"bewährt" wird. Und ich denke etwa an einen anderen alten Mann,
der ebenfalls im Krieg in Rußland war. Und der mir gesagt hat:
Wenn ich zurückblicke, dann kann ich nur dankbar staunen. Staunen,
durch welche wunderbaren Führungen und Wege Gott mich bewahrt hat.
Hätte der Herr das nicht getan, dann hätte ich - wie viele
meiner Kameraden - die Zeit in Russland nicht überlebt. Wenn ich
ein solches Zeugnis höre, dann merke ich: Diese
Bewährungsprobe hat nicht nur den Glauben des alten Bruders
gestärkt - dieses Zeugnis stärkt auch meinen Glauben und
macht mir Mut, wenn ich selbst in Bewährungsproben stehe. Ja -
manche Geschwister unter uns könnten eine Menge erzählen, wie
ihr Glaube sich tatsächlich bewährt hat, in schwierigen
Zeiten, in Not, in Krankheit.
Von solchem bewährten Glauben sagt Jakobus, dass er "Geduld
wirkt". Was aber ist Geduld? Mancher mag geneigt sein, zu sagen: Geduld
lernen heißt, sich fügen lernen, warten, nicht alles sofort
haben wollen. Da ist sicher etwas dran. Trotzdem steckt noch mehr in
diesem Wort. Wörtlich übersetzt heißt Geduld
"Darunterbleiben". Ein Ausleger erklärte es einmal so:
Geduld ist die Fähigkeit, über längere Zeit hinweg
unter Druck zu bleiben. Es wurde zum Beispiel gebraucht, wenn Soldaten,
die dabei waren, eine Burg einzunehmen, unter Beschuss kamen. Und wenn
sie dann vom Offizier den Befehl erhielten, trotz der Gefahr "darunter
zu bleiben", unter dem, was auf sie an Geschossen einprasselte,
solange, bis die Burg eingenommen werden konnte. Geduld ist also weit
mehr als ein passives Sich-Fügen, und Abwarten. Es ist vielmehr
höchst aktiv, es ist ein Kraftakt des Aushaltens. Ein Kraftakt,
der nur gelingen kann, wenn die Kraft des Heiligen Geistes mich
stärkt, und mich immer wieder an die Liebe meines himmlischen
Vaters erinnert. Ja, ich bin sicher: Auch von solchen "Kraftakten des
Glaubens" wissen so manche Geschwister unter uns zu erzählen,
ältere wie jüngere.
4 Die Geduld aber soll ihr Werk tun bis ans Ende, damit ihr
vollkommen und unversehrt seid und kein Mangel an euch sei.
Wir hatten vorhin gesehen, wie ein echter, lebendiger Glaube. Wie er in
der Anfechtung nicht zerstört wird. Sondern wie mich der Geist
Gottes - trotz und inmitten aller Not - bei meinem Heiland hält.
Immer wieder, auch an anderen Stellen, haben wir schon eine wichtige
Frage bedacht, die auch so manchen Christen umtreibt. Nämlich die
Frage: Heute glaube ich an meinen Heiland - aber wer weiß, was
morgen auf mich zukommen wird. Werde ich dann die Kraft haben, bei ihm
zu bleiben? Werde ich nicht nur heute, sondern auch dann, wenn mein
letztes Stündlein geschlagen hat? Werde ich dann immer noch im
festen Glauben stehen, und nach Hause gehen zu meinem Heiland, in die
himmlische Heimat?
Was dazu auf der Seite Gottes geschieht, haben wir bereits gesehen:
Sein Heiliger Geist ist es, der mich im Glauben erhält. Hier
dagegen wird es von einer anderen Seite betrachtet. Nämlich: was
muss mit mir geschehen, damit ich im Glauben "dranbleibe" bis zum
Schluss? Und Jakobus sagt: Ich muss Geduld lernen. Diese Art von
geistlicher Geduld, die mich aushalten lässt, selbst in der Stunde
der Anfechtung. Die mich aushalten lässt im Glauben.
Wenn wir das weiter denken, dann kommen wir zu einer - scheinbar -
höchst merkwürdigen Schlussfolgerung. Nämlich der
Schlussfolgerung: Mein himmlischer Vater tut alles dafür, damit
ich diese Geduld lerne, die mich bis zum Ende im Glauben erhält.
Und damit ich diese Geduld lerne, darum führt er mich manchmal
sogar in große Not und Anfechtung. Er lässt mich manchmal
Wege gehen, die ich nicht begreifen kann - oder erst viele Jahre
später.
Nur, Geschwister, versteht das gut: Mein himmlischer Vater tut das
nicht, um mich zu quälen oder zu bestrafen. Er tut das, damit ich
diese Geduld lerne. Diese Geduld, die allein mich bis an mein seliges
Ende bei meinem Heiland halten kann. Wenn uns etwas Schlimmes oder
Unverständliches widerfährt, dann denken wir viel zu schnell:
Herr, womit habe ich das verdient? Oder gar: Herr, was habe ich getan,
dass du mich dafür so sehr bestrafst? Was ist das nur für ein
verzerrtes Bild von unserem himmlischen Vater! Wenn wir Jesus Christus
kennen, dann sollen wir wissen: Unser himmlischer Vater ist uns gut. Er
liebt uns mehr, als wir es uns je ausmalen könnten. Er sitzt nicht
im Himmel und lauert darauf, wofür er uns als nächstes
bestrafen könnte. Sondern er ist ständig darauf bedacht, mir
Gutes zu tun. Gutes da, wo ich es verstehe. Und Gutes auf den Wegen,
die ich nicht verstehe. Und all das ist eine ständige Einladung,
mit der er mir sagt: Mein Kind, vertraue mir. Vertraue mir immer mehr.
Lerne, mir auch dort zu vertrauen, wo du mich nicht verstehst. Du
kannst mich nicht immer verstehen. Aber du kannst mir immer vertrauen.
Und so können und sollen wir ihm auch dort vertrauen, wo er uns in
diese Schule der Geduld nimmt. Er tut das nicht, um uns zu
bestrafen. Sondern er tut es, weil er uns ganz gewiss und ganz sicher
"durchbringen" will, bis wir endlich bei ihm zu Hause sind, in der
himmlischen Heimat. Er tut es, damit wir bei ihm "vollkommen und
unversehrt" ankommen, damit wir keinerlei geistlichen Mangel haben. Er
führt uns in die Schule der Geduld, denn die Geduld "soll ihr Werk
tun bis ans Ende", bis an unser seliges Ende. Wenn wir ihm egal
wären, dann würde er uns nicht in diese Schule nehmen. Wenn
er uns nicht so sehr lieben würde, dann ginge es uns vielleicht
immerzu gut - so gut, dass wir mit Martin Luther sagen
müssten: Die schlimmste Anfechtung ist keine Anfechtung.
Liebe Geschwister, keiner von uns wünscht sich die Anfechtung
herbei. Aber wenn sie kommt, dann wünsche ich jedem von uns, dass
er sie im Glauben nehmen kann. In einem lebendigen Glauben an Jesus
Christus, seinen Heiland. Und dass er sich dann an diese - scheinbar so
merkwürdigen - Worte erinnert, und daran, was sie bedeuten:
Erachtet es für lauter Freude, wenn ihr in mancherlei Anfechtungen
fallt. Amen.
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