Schau auf Jesus! - Predigt zum Karfreitag 2005 über 4. Mose 21,4-9

4 Da brachen sie auf von dem Berge Hor in Richtung auf das Schilfmeer, um das Land der Edomiter zu umgehen. Und das Volk wurde verdrossen auf dem Wege 5 und redete wider Gott und wider Mose: Warum hast du uns aus Ägypten geführt, daß wir sterben in der Wüste? Denn es ist kein Brot noch Wasser hier, und uns ekelt vor dieser mageren Speise. 6 Da sandte der HERR feurige Schlangen unter das Volk; die bissen das Volk, daß viele aus Israel starben. 7 Da kamen sie zu Mose und sprachen: Wir haben gesündigt, daß wir wider den HERRN und wider dich geredet haben. Bitte den HERRN, daß er die Schlangen von uns nehme. Und Mose bat für das Volk. 8 Da sprach der HERR zu Mose: Mache dir eine eherne Schlange und richte sie an einer Stange hoch auf. Wer gebissen ist und sieht sie an, der soll leben. 9 Da machte Mose eine eherne Schlange und richtete sie hoch auf. Und wenn jemanden eine Schlange biß, so sah er die eherne Schlange an und blieb leben.

Liebe Geschwister,
Jesus starb am Kreuz, damit wir gerettet werden. Das ist - kurz gesagt - die Botschaft von Karfreitag. Und damit wir diese Botschaft noch besser, noch tiefer verstehen. Darum finden wir schon im Alten Testament dafür Ereignisse und Berichte, die schon vorher gleichsam einen Schatten warfen - über Jahrtausende in die Zukunft, bis es soweit war. 
"Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muß der Menschensohn erhöht werden, damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben." (Johannes 3:14-15) So sagt Jesus über seinen Kreuzestod und über die Botschaft vom Kreuz. Die Botschaft, mit der wir Jesus für alle Welt sichtbar machen. Was lernen wir aus dieser Begebenheit in der Wüste für unser Verständnis vom Kreuz?

1. Jesus starb für unsere Ungeduld, Undankbarkeit und Nörgelei

Irgendwie ist uns in unserer Zeit die "Kunst des Wartens" abhanden gekommen. Alles muss hopp, hopp, subito, presto, mit Express geschehen. Inwieweit dieser Lebensstil sehr gesund ist, ob er das Leben erfüllt und mich zufrieden macht, ob man sich dem überhaupt entziehen kann usw. - darüber könnte man eine eigene Predigt halten. Schwierig wird es aber, wenn wir diese Vorstellungen auf Gott übertragen: Der "Express-Gebetserfüllungs-Automat" wurde in 2000 Jahren Geschichte der Christenheit immer noch nicht erfunden, und Gott gibt uns keineswegs immer alles sofort und so, wie wir es uns wünschen.
Genau davon handelt der vorliegende Bericht. Wir wissen, wie das Volk Israel vierzig Jahre lang in der Wüste unterwegs war, das Gelobte Land nicht in Sicht, die Bedingungen hart. Die Ernährung war, wie wir das heute ausdrücken würden - einseitig: Morgens Manna frisch, mittags Manna vom Morgen, abends das restliche Manna. Was würdest du sagen, wenn du dich nur ein Jahr lang auschliesslich von Lebkuchen ernähren müsstest? Immerhin gab es hin und wieder Wachteln als "Beilage". Und als Getränk? Natürlich ausschliesslich Wasser. Man war froh, in der Hitze überhaupt genug davon zu haben, war darauf angewiesen, dass Gott ihnen immer wieder Wasserquellen in der Wüste zeigte.
Und jetzt das - auch noch ein Umweg, wer weiss für wie lange: "Da brachen sie auf von dem Berge Hor in Richtung auf das Schilfmeer, um das Land der Edomiter zu umgehen." Jeder Mensch hat eine persönliche Grenze, wo er sagt: Jetzt reicht es - ich mache das nicht mehr mit. Genug ist genug. Beim Volk Israel war diese Grenze jetzt erreicht, und es beschwert sich - bei Gott, und bei Mose, der ihnen von Gott geschickt worden war: "Und das Volk wurde verdrossen auf dem Wege und redete wider Gott und wider Mose." Uns reicht's. Du willst unser guter Vater im Himmel sein? Der sich im uns kümmert? Das kannst du jemand anderem erzählen.
Zuerst stellen sie hier das Wichtigste und Wertvollste in Frage, das Gott ihnen geschenkt hat: Ihre Errettung. "Warum hast du uns aus Ägypten geführt?" Man kannte damals noch nicht die endgültige und wichtigste Rettung, die Jesus Christus uns bringen würde. Aber eines wussten sie in Israel: Unser Gott ist ein Retter. Das gehört zu seinem Wesen. Im ganzen Alten Testament ist das wichtigste Zeichen dafür die Erinnerung an die Zeit in Ägypten: Die schreckliche Zeit als Sklaven, die Unterdrückung durch ihre Peiniger, die Zehn Plagen, der Auszug des ganzen Volkes, und dann die Rettung am Schilfmeer: der Pharao geht mit seiner Armee unter mit Mann und Maus, und das ganze Volk kommt mit dem Leben davon.
Bis heute feiern die Juden das Andenken an diese Rettung mit ihrem Passafest. Und nicht ohne Grund ist Jesus damals genau während des Passafestes gestorben. Damit hat er noch einmal unterstrichen: Gott ist ein Retter. Doch hier sind sie so verdrossen, missmutig, ungeduldig. Dass sie sogar fragen: Warum hast du uns aus Ägypten geführt? Was im Grunde bedeutet: Warum hast du uns gerettet? Musste das sein?
Um ihren Beschwerden Gewicht zu verleihen,  greifen sie zu einem üblichen Mittel: sie übertreiben. "...dass wir sterben in der Wüste?" Wenn man die Geschichte nachvollzieht, dann stellt man fest: Es stimmt, das mit dem Sterben. Sterben mussten allerdings auf dieser Wüstenwanderung immer dann Leute aus dem Volk, wenn sie aus eigener Schuld, aus Ungehorsam von Gottes Wegen abgewichen waren. Stimmt denn das nächste? "Es ist kein Brot noch Wasser hier." Nein - zu Essen hatten sie. Und verdursten musste auch niemand - allerdings gab Gott ihnen manchmal das nötige Wasser erst im allerletzten Moment. Aber er gab es ihnen. "Und uns ekelt vor dieser mageren Speise." Dass sie das ständige Manna satt haben - das glaube ich wohl. Aber das diese Speise mager war, nein: Über Folgen von angeblicher "Mangelernährung" lesen wir den Mosebüchern nichts. Es ist einfach übertrieben.
Ich weiss es nicht, wie man das alles auf uns übertragen kann. Gibt es das - dass ein Christ sich bei Jesus über seine Rettung beschwert? Und zu Jesus sagt: Mir reicht's, das Leben als Christ. Und vielleicht fortfährt: Jesus, wenn ich kein Christ wäre, dann wäre es einfacher? Dann müsste ich nicht so genau auf deine Gebote achten, und mich dafür auch noch auslachen lassen? Dann müsste ich sonntags morgens nicht in die Kirche, sondern könnte ausschlafen? Dann müsste ich nicht ...? Schwer zu sagen - da müsste jeder selbst einmal darüber weiter nachdenken. Doch ob das andere uns immer so fern ist: Murren, Meckern, Übertreiben? Jedenfalls stimmt eines: Jesus starb gerade auch für unsere Ungeduld und Undankbarkeit.

2. Jesus starb, damit wir umkehren

Eines wird hier klar: Gott bewertet das Ganze keineswegs als "Kavaliersdelikt". "Da sandte der Herr feurige Schlangen unter das Volk, dass viele aus Israel starben." Natürlich gibt es in der Wüste ohnehin immer wieder Giftschlangen. Aber so, wie das hier geschildert wird - hat Gott diese Schlangen ausdrücklich für diesen Zweck gemacht, und er hat sie ausdrücklich zu seinem murrenden Volk geschickt. So etwas tut unser Gott - und vielleicht ist es gut, wenn solche Bibeltexte auch unser Wunschbild vom "lieben Gott" immer wieder korrigieren.
Der Chemnitzer Evangelist Theo Lehmann wurde bei einer Veranstaltung einmal gefragt: Ist es schlecht, wenn man sich nur aus Angst vor der Hölle bekehrt? Ist man dann überhaupt ein richtiger Christ? Er antwortete: Eigentlich ist es ein Zeichen grosser Klugheit, wenn man sich aus dieser Angst heraus Christus zuwendet. (Theo Lehmann hat übrigens über diesen Text eine sehr hörenswerte Predigt gehalten, unter der Überschrift "Die Schlange auf der Stange". Sie findet sich im MP3-Audio-Format auf www.sermon-online.de)
Warum ist das so? Nun - wenn du einen Herzinfarkt bekommst, und in Lebensgefahr bist - ist es dann verkehrt, den Rettungswagen zu rufen? Wenn du in einem brennenden Haus bist, und die Feuerwehr hält dir das Sprungtuch bereit - ist es dann verkehrt zu springen? Als die Israeliten an den Schlangenbissen starben? War es da verkehrt, dass sie zu Mose kamen, und sagten: Bitte den Herrn für uns, wir haben gesündigt?
Manchen Menschen muss ja nicht mehr erzählen, dass ein Leben fern von Gott, in der Sünde, ein schlechter Lebensweg ist. Sie haben die "Hölle im Diesseits". Sie haben es genug erfahren, wie das "Gift" der Sünde ihr Leben zerstört hat: denken wir etwa an die Suchtkranken,  die damit ihre Ehe und Familie zerstört haben, die darüber ihren Beruf verloren haben. Ihnen geht es wie dem verlorenen Sohn, der fern von seinem Vater, im Schweinestall, gemerkt hat, wohin ein solches Leben führt. Solchen Menschen muss man nicht mehr viel vom "Gift der Sünde" erzählen, sie haben es am eigenen Leib genug gespürt.
Was aber ist mit uns anderen? Es ist ja nicht so, dass einem wohlanständigen, ordentlich lebenden Menschen unbedingt bewusst wird: Ich bin in Lebensgefahr, denn ich bin ein Sünder - wer rettet mich? Nun - wenn du auf der Strasse läufst, und auf einmal rasen an dir fünf Feuerwehrzüge und ebenso viele Rettungswagen vorbei? Was wirst du denken? Du wirst denken: Da muss etwas Schlimmes passiert sein, wenn sie so einen grossen Aufwand treiben.
Vielleicht können wir das Leiden und Sterben Jesu noch einmal von dieser Seite betrachten. Indem wir uns sagen: Wenn Gott so einen Aufwand treibt. Wenn sein eigener Sohn so sehr leiden muss, bis er schliesslich sterben muss, und seine Schmerzen ein Ende haben. Wenn so eine Rettungsaktion notwendig ist. Dann muss wirklich etwas Schlimmes passiert sein. Und wenn du bedenkst, welch eine "Höllenangst" Jesus im Garten Gethsemane durchgestanden hat. Und welch wahrhaft höllische Schmerzen und innere Leiden er am Kreuz für dich ausgestanden hat. Dann kannst du verstehen, das es einzig und allein aus einem Grund war: Damit du nicht einmal später die Qualen der Hölle erleiden musst. Wenn du das Leiden Christi bedenkst: Dann kannst du sehen, wie ernst Gott deine Sünde nimmt. Und warum es nicht verkehrt, sondern im Gegenteil sehr klug ist, wenn man sich aus Angst vor der Hölle bekehrt.
Es ist wirklich gut, dass wir Jesus haben - als unseren Heiland, als unseren Retter. Nicht umsonst hat er uns gesagt: "Denn also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben." (Johannes 3:16) Es ist wirklich gut, wenn wir das nutzen - als Möglichkeit zur Umkehr: "Da kamen sie zu Mose und sprachen: Wir haben gesündigt, daß wir wider den Herrn und wider dich geredet haben." 

3. Jesus starb, damit wir im Glauben auf ihn schauen und gerettet werden

Was Gott nun tut, ist schon hier im Alten Testament erstaunlich genug: Das Zeichen seiner Strafe, seines Gericht wird verwandelt in das Zeichen der Rettung. Gott hätte sicher viele andere Möglichkeiten gehabt, als ausgerechnet eine Schlange aus Metall anfertigen zu lassen. Hatten sie nicht schon genug mit Schlangen zu tun gehabt? Und jetzt sollten sie ausgerechnet von einer Schlange gerettet werden?
Hier, an dieser Schlange aus Metall. Da verstehen wir etwas vom Geheimnis des Kreuzes. Rein äusserlich betrachtet, ist das Kreuz ein Zeichen des Leidens, des Scheiterns. Es wurde damals als Strafe gebraucht, für Schwerbrecher. Wer hier endete, der hatte gewöhnlich viel "auf dem Kerbholz". Und an diesem Kreuz wurde ja tatsächlich auch ein Verbrechen bestraft: nicht die Verbrechen des ganz und gar unschuldigen Jesus - wohl aber die Sünde der Menschheit.
Wenn aber schon das schwer verständlich ist - wieviel schwerer ist es zu verstehen, dass wir hier - und nur hier - Rettung finden. Dass hier, unter dem Kreuz, alle Angst vor der Hölle zum Schweigen kommt. Es ist wirklich ein Geheimnis, so wie das Geheimnis, warum hier eine Schlange vor den Folgen des Schlangenbisses schützen soll.  "Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist's eine Gotteskraft." (1. Korinther 1:18) Ja, glücklich der, der auf dieses Kreuz schaut - im Glauben darauf schaut.
Der grosse Prediger Charles Spurgeon hatte in seiner Jugend schon alles gehört über Jesus, aber er hatte lange keinen Glauben und keine Gewissheit. Wie sehr suchte er - und fand nicht! Wahrscheinlich wenige wissen, welche Bedeutung die Methodisten hatten auf seinem Weg zum Glauben, den er dort in einer kleinen Versammlung fand. Er schreibt in seiner Autobiographie: "Vielleicht würde ich noch in Dunkelheit und Verzweiflung leben, hätte Gott in seiner Güte nicht einen Schneesturm gesandt, der mich eines Sonntagmorgens auf dem Weg zum Gottesdienst überraschte. Ich suchte in einer Nebenstraße Zuflucht und kam zu einer Kapelle der Methodisten. Darin saßen etwa fünfzehn bis zwanzig Menschen. Ich hatte von den Methodisten schon gehört, sie würden so laut singen, daß man Kopfschmerzen davon bekäme. Aber das störte mich nicht. Ich wollte wissen, wie ich gerettet werden könne, und wenn sie es mir sagen konnten, waren mir die Kopfschmerzen egal."
Spurgeon beschreibt nun, wie ein einfacher Laienprediger über den Text predigte: "Schaut auf mich, und ihr werdet gerettet werden. " (Das ist nach der englischen "King-James-Übersetzung" zitiert, bei Luther heisst es in Jesaja 45:22 "Wendet euch zu mir, so werdet ihr gerettet werden, aller Welt Enden; denn ich bin Gott, und sonst keiner mehr.") Auf einmal spricht er den jungen Spurgeon direkt an von der Kanzel: "... 'Junger Mann, schau auf Jesus Christus. Schau! Schau! Schau! Du mußt nichts tun, als nur schauen, und du wirst leben.' Plötzlich und auf einmal sah ich den Weg der Erlösung. ... Genauso war es doch mit der ehernen Schlange gewesen; als sie erhöht worden war, mußten die Leute nur auf sie schauen, und sie wurden gerettet. So war es auch mit mir. Ich hatte erwartet, fünfzig Dinge tun zu müssen, aber als ich diese Wort hörte: 'Schau', da schien es für mich das schönste Wort der Welt zu sein." Soweit der grosse Spurgeon über seinen Weg zu Jesus und zu seiner Rettung. (zitiert aus: C.H. Spurgeon, Alles zur Ehre Gottes, Wuppertal/Kassel 1987, S.54-55)
Besser kann man wohl das Geheimnis des Kreuzes nicht beschreiben. Es sind keine grossen und komplizierten Dinge nötig, um gerettet zu werden. Ich muss einfach nur schauen. Im Glauben darauf schauen. "Wer Jesum am Kreuze im Glauben erblickt, wird heil zu derselbigen Stund; drum blick nur auf ihn, den der Vater geschickt, der einst auch für dich ward verwundt!" (altes Gesangbuch der EmK Nr. 647). Wir müssen nur schauen - und dann werden wir gerettet. Wir, die wir oft so ungeduldig, undankbar und nörgelig sind, gegen unseren himmlischen Vater. Wir Sünder, die wir in einer ernsten, lebensgefährlichen Lage sind. Wir Menschen, die wir Gott die grösste Rettungsaktion in der Geschichte der Welt wert waren. Schauen wir darauf, im Glauben. "Und wenn jemanden eine Schlange biß, so sah er die eherne Schlange an und blieb Leben." Amen.

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