Jesus Christus ist Herr - Predigt über Römer 14,7-9

7 Denn unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber. 8 Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn. 9 Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebende Herr sei.

Liebe Geschwister,
Jesus Christus ist der Herr über Lebende und Tote. Und am besten habe ich es getroffen, wenn Jesus nicht nur im Allgemeinen, Großen und Ganzen der Herr ist - sondern wenn er mein Herr ist, im Leben wie im Sterben. Denn er ist es, der mein ganzes Vertrauen und meinen ganzen Gehorsam verdient.

Jesus Christus ist Herr über die Lebenden

Bevor wir irgendwie weiter darüber nachdenken, müssen wir uns klarmachen: Paulus redet hier zu Christen, zu gläubigen Menschen. Es geht nicht um eine Einladung zum Glauben. Es geht nicht darum, Grundlagen zu legen. Wir reden hier nicht darüber, wie man Christ wird. Wir reden nicht über die Vergebung der Sünden, und die Bekehrung zu Christus. Sondern hier es geht darum, dass wir erinnert werden: Liebe Christenmenschen - bedenkt, wer Jesus Christus für euch ist, im Leben wie im Sterben. Wo ein Christ das bedenkt - da allerdings wird dieses Wort auch wichtig für die, die noch nicht glauben. Denn wenn wir zum Glauben einladen, dann sollen die Menschen "Klartext" hören. Sie sollen von uns erfahren, was sie erwartet. Was sie erwartet, wenn sie in die  Nachfolge unseres Herrn treten. Wenn Jesus auch ihr Herr wird.
So wollen wir, die wir glauben, für uns hören: Lieber Christenmensch, wenn du Jesus Christus gehörst, dann ist das etwas Umfassendes. Es ist sozusagen "total": Jesus legt seine Hand auf dein ganzes Leben, auf alles, was du tust und lässt. Es gibt keine Ausnahmen, keine privaten Ecken. Alles, was du hast und bist, gehört ihm. Alles, was du tust und lässt, ist letztlich nicht deine - sondern allein seine Angelegenheit. Es gibt nichts bei dir, wofür Jesus nicht zuständig ist. Es gibt keine Rückzugsmöglichkeiten. Nichts, wo er sich heraus halten lässt. Ja - er will nicht mit dir über dein Leben diskutieren, sondern er will dein Herr sein - umfassend, total.
An dieser Stelle müssen wir einen Augenblick anhalten. Totale Herrschaft? Klingt das nicht sehr autoritär, entmündigend, ja geradezu gefährlich? Wer hat eigentlich das Recht, so etwas zu beanspruchen? In der Tat haben wir gerade in unserem Land gute Gründe, uns über so etwas Gedanken zu machen. So mancher Deutsche hat ja nicht nicht nur eines, sondern sogar zwei staatliche Systeme erlebt, die nicht nur total, sondern sogar "totalitär" waren: Zuerst im Dritten Reich, und dann in der Deutschen Demokratischen Republik. Damals, als man den Menschen gesagt hat: Du gehörst dem Führer, dem Volk, der Partei, dem Staat ganz - von der Wiege bis zu Bahre. Schon euren Kindern wollen wir unsere Gedanken einpflanzen, und am Grab wollen wir es sein, die die letzte Ehrung vornehmen. Nachdenken und Widerspruch ist nicht verboten, nein, nein - natürlich nur, solange wir es erlauben. Haben wir nach diesen Erfahrungen nicht allen Grund, gegen jede totale Herrschaft misstrauisch zu sein? Einfach, weil wir uns und unserer Jugend sagen wollen: nie wieder?
Ich glaube, Paulus hätte diesen Bedenken voll und ganz zugestimmt - und die Fragen waren für ihn damals ebenso aktuell. Ein römischer Kaiser, der nicht nur unbegrenzte militärische Gewalt ausüben wollte - sondern den man auch als Gott anzubeten hatte. Solche Entwicklungen begannen sich für die Gemeinde in Rom schon abzuzeichnen: Der Kaiser greift nach dem ganzen Menschen, nicht nur nach ihm als Staatsbürger. Er will sich seines Gewissens und seiner Seele bemächtigen.
Aber nicht nur für den politischen Bereich. Nicht nur für den Christen als Staatsbürger sind diese Worte von Paulus gedacht. Denn in der römischen Gemeinde gab es - auf ganz andere Weise - das Problem einer gleichsam "totalen christlichen Gewissensherrschaft". Gewissermaßen das Gegenstück zur sog. "evangelischen Freiheit", die - viel später einmal - einen Schwerpunkt der Reformation bilden sollte.
Wenn wir sehen, in welchem Zusammenhang diese Verse stehen, dann verstehen wir: In der römischen Gemeinde gab es bei Einigen das Bemühen, dass man das Gewissen von Geschwistern gleichsam vergewaltigen wollte. Es ging um die  Herrschaft der -  ich will sie einmal die "besonders freien Christen" nennen. Das  waren Christen, die aus heidnischem Hintergrund, von ihrem Götterglauben oder  was auch immer zum Glauben an Jesus Christus gekommen waren. Die gingen nun ihre Geschwister in der Gemeinde an, die ebenfalls an Jesus Christus glaubten. Und sie sagten: Du kommst aus dem jüdischen Volk? Du bist schon als Kind mit bestimmten Feiertagen aufgewachsen, und deine Eltern haben dir gesagt: Meide bestimmte Speisen, sie sind unrein? Und du willst immer noch an den Bräuchen deiner Kindheit festhalten, weil du denkst: Gott hat Wohlgefallen daran? Nein, wir, die "besonders freien Christen" sagen dir: hinweg mit diesen Dingen, ein wahrhaft gläubiger Christ sollte so etwas nicht mehr tun. Unser Gewissen sagt uns: wir sind frei davon. Und wir sagen deinem Gewissen: du musst auch frei davon sein.
So fingen die "besonders freien Christen" an, eine Art totaler Gewissensherrschaft zu beginnen - auch in solchen Dingen, die das Wort Gottes eigentlich jedem offen gelassen hatte. Denn der Herr hatte jenen jüdischen Geschwistern in keiner Weise verboten, an ihren überlieferten Bräuchen festzuhalten. Wir finden dazu keine Gebote im Neuen Testament. Genau in diesem Zusammenhang sagt Paulus: "Wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn" - wir sind "des Herrn", gehören ihm, und zwar total, und ihm allein. Jeder steht mit seinem Gewissen letztlich allein vor Gott. Jeder hat sich letztendlich nur vor ihm zu verantworten. Ahnen wir langsam den Zusammenhang?
Es gab eine Zeit in unserem Land, als ein Teil der deutschen Kirche das ganz neu bezeugt hat. Ich zitiere: "Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben." Das ist der Anfang der Theologischen Erklärung von Barmen, aufgeschrieben 1934, damals, als Führer und Staat total nach dem ganzen Menschen, und auch nach der Kirche greifen wollte. "Wir verwerfen die falsche Lehre, als gebe es Bereiche unseres Lebens, in denen wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu eigen wären, Bereiche, in denen wir nicht der Rechtfertigung und Heiligung durch ihn bedürften." So heißt es dort ein paar Sätze später.
Sehen wir es jetzt? Die totale Herrschaft Jesu Christi. Sie versteht sich immer im Gegensatz zur totalitären Herrschaft des Menschen. Kein Mensch, keine Institution hat das Recht, total nach mir zu greifen - denn das wäre totalitär. Ja, nicht einmal die Kirche und ihre kirchlichen Amtsträger dürfen das - wie Martin Luther es in der Reformation ganz neu "durchbuchstabiert" hat. Aber er darf es. Ja, er darf es nicht nur - sondern er, Jesus Christus, tut es auch. Und legt seine Hand auf mein ganzes Leben. Auf alles. Von der Wiege bis zur Bahre.
Das ist rechte evangelische Freiheit - unabhängig von den Menschen, weil ich völlig abhängig von ihm bin. Ungebunden durch die Worte der Menschen, weil mein Gewissen ganz und gar an sein Wort gebunden ist. In dieser Freiheit stand Luther vor dem Reichstag in Worms. In dieser Freiheit setzte sich John Wesley über die Amtskirche hinweg und  predigte das Evangelium den Armen. In dieser Freiheit konnte Dietrich Bonhoeffer in seiner Gefängniszelle aushalten, bis zum Schluss. Es ist die Freiheit, die nur einen totalen Herrn anerkennt: Jesus Christus.
An dieser Stelle eine Anmerkung zu unserer aktuellen Lage: In unserem Land leben wir zur Zeit - wie lange wohl noch? - in einer großen politischen Freiheit. Das Grundgesetz garantiert jedem einzelnen Glaubens- und Gewissensfreiheit, und das in großem Umfang. Dennoch glaube ich: auch in unserem Land gibt es immer noch einen Diktator. Jawohl, einen totalitären Diktator. Nur heißt der nicht mehr Hitler, Stalin, oder wie auch immer. Sondern es ist der Diktator mit drei Buchstaben:
I-C-H. Ja, ich denke, das Ich, das Ego, ist zur Zeit der größte Diktator. Und seine  Parolen heißen: Mein Leben gehört mir. Ich gestalte es, wie ich es für richtig halte.  Mein Bauch gehört mir. Und ich entscheide, ob das heranwachsende Menschlein darin leben darf, oder ob es sterben muss. Mein Geld gehört mir. Meine Zeit gehört mir. Mein Denken gehört mir. Mein Körper gehört mir. Mir, mir, mir. Von der Wiege bis zur Bahre: I-C-H will das letzte Wort haben. Und man bemäntelt diesen Vorgang  mit schönen Worten wie "Selbstbestimmung", oder  gar "Freiheit".
Ob dieser Diktator ICH auch schon in die Christenheit mit hineinregiert? Wenn ja - dann weisen wir ihm die Tür, unbedingt. Denn der Satz: "Mein Leben gehört mir." Er ist - recht betrachtet - ein zutiefst gottloser Satz. Wenn wir wirklich Christen sein wollen, dann gehören wir nicht mehr uns selbst: "Denn unser keiner lebt sich selber, und unser keiner stirbt sich selber." Wir gehören nicht dem ICH, sondern wir gehören IHM: "wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn." - total, allumfassend.

Zwischenbemerkung: Wieso hat Jesus das Recht dazu?

Jeder totale Herrscher und jedes totalitäre System muss früher oder später klarstellen: Warum habe ich eigentlich das Recht dazu, eine solche Herrschaft über die Menschen auszuüben? Und so hat jede totalitäre Herrschaft auch ihre Denker und Propagandaleute: Menschen des Volkes, ihr sollt erkennen, dass wir nur das Beste für euch wollen. Unsere Herrschaft wird euch Wohl und Heil bringen. Und man möchte manchmal hinzufügen: Und wo ihr nicht selbst voller Einsicht erkennt, was zu eurem Frieden dient - da wird euch unser Geheimdienst davon überzeugen...
Wie legitimiert, wie begründet Jesus Christus eigentlich seine Herrschaft? Paulus schreibt hier kurz und bündig dazu: "Dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebendige Herr sei." Diese einzigartige Herrschaft Jesu - sie wird auch einzigartig begründet. "Wo ist solch ein Herr zu finden, der was Jesus tat, mir tut: mich erkauft von Tod und Sünden mit dem eignen teuren Blut." (Gesangbuch der EmK 325,3) So singen wir im Lied.
In der Tat kann das keiner der Herren dieser Welt vorweisen: Dass er uns befreit hat von Sünde, Tod und Teufel. Die Herren der Welt - sie haben die Menschen allzu oft in Ketten gelegt, haben sie gequält,  geknechtet, nur an ihren eigenen Vorteil gedacht. Jesus Christus, der Herr - er hat nicht an sich selbst gedacht. Sondern er hat sich verschenkt, er hat sein Leben gegeben, für die arme, sündige Menschheit. Und als Christ kann ich bekennen: Er hat mich frei gemacht, denn er hat mir meine Schuld vergeben, er hat mir neues, ewiges Leben geschenkt.
Deshalb ist er mein Herr, deshalb hat er das Recht, ganz, total über mich zu herrschen. Auch das ICH, der große Diktator unserer neuen Zeit, kann hier nicht mitreden. Welcher Mensch kann sich schon selbst von seinen Sünden erlösen, wer  kann sich vom Tod  befreien - und hätte er die größte Willenskraft, die größte "Ich-Stärke"? Auch das Ich, dieser Herrscher - es führt letztlich in die Knechtschaft, nicht in die Freiheit. Die sog. "Selbstbestimmung" - sie ist letztlich nur eine Schein-Freiheit, eine besonders komfortable Art der Versklavung. "Dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebendige Herr sei." Ja, Jesus Christus hat wirklich alles Recht und alle Macht dazu, er allein. Das Recht und die Macht, dass er seine Hand auf mein ganzes Leben legt, auf jede einzelne Stunde, von der Wiege bis zur Bahre, und darüber hinaus.
Was für ein Vorrecht, wenn ich diesem Herrn gehören darf! Diesem Herrn,  der mich frei gemacht hat von der Sünde und vom Tod. Was für ein Trost, was für eine Geborgenheit, wenn ich weiß: Ich darf dem Herrn aller Herren gehören. Da komme, was wolle. Selbst dann, wenn es nach menschlichem Ermessen ganz schlimm und aussichtslos ist: nichts und niemand ist stärker als er. Wohl dem, der das glauben kann!

Jesus Christus ist Herr über die Toten

Jesus Christus ist aber nicht nur Herr über die  Lebenden, er ist auch Herr auch über die Toten. Gerade gegen Ende eines Kirchenjahres ist es sehr passend, genau das zu bedenken. Und die christliche Kirche hat von Anfang an betont: Die totale Herrschaft Jesu Christi über uns, sie hat auch mit unserem Tod kein Ende.
Im Glaubensbekenntnis sprechen wir: er ist "hinabgestiegen in das Reich des Todes". Warum hat Jesus das getan? Weil er seinen Herrschaftsanspruch auch dort klarstellen wollte, dort im Totenreich: Dass er über Tote und Lebende Herr sei. Es gibt in der Geschichte der Kirche ein altes, kräftiges Bild, um das zu erklären: Jesus Christus, nachdem er am Kreuz gesagt hat "Es ist vollbracht." Da geht er in das Totenreich wie ein siegreicher Feldherr. Er nimmt die Fahne seines Reiches - des Reiches Gottes - mit. Und er pflanzt sie dort auf, mitten im Totenreich, als Zeichen seiner Machtergreifung. Denn er, Christus, er hat gekämpft bis zum letzten Atemzug. Und jetzt hat er gesiegt, gesiegt über den Tod - deshalb hat er auch im Totenreich seinen Herrschaftsanspruch. Vielleicht haben es manche schon auf alten Bildern gesehen: Ein Bild mit einem Lamm, das eine Siegesfahne hält - das Lamm Gottes, das sich geopfert hat, und dadurch gesiegt hat, nicht nur über die Sünde, sondern auch über den Tod.
Deshalb bekennen wir: Jesus Christus legt seine Hand auch auf die Verstorbenen.  Er legt sie insbesondere auf die, die im Glauben gestorben sind. Ganz und gar gehören sie ihm, umfassend, total. Das ist ein wichtiger Hinweis für solche Geschwister unter uns, die einen lieben Angehörigen oder Freund zu betrauern haben. Es ist schon wahr: Wir können niemandem ins Herz sehen und über seinen Glauben urteilen. Wir wissen nicht mit letzter Sicherheit, wer  von unserer Familie, von unseren Bekannten und Freunden in seinem Herzen zu Christus gehört. Aber wir dürfen getrost davon ausgehen, dass diejenigen. Diejenigen, die in ihrem Leben geglaubt und bezeugt haben, dass Jesus Christus nicht nur der Herr im Allgemeinen ist. Sondern das er ihr persönlicher Herr und Retter ist. Wir dürfen davon ausgehen, dass auch die auch nach diesem Leben, über den Tod hinaus sein Eigentum sind.
Das ist keine falsche Romantik nach dem Motto: "im Himmel sehen wir uns alle einmal wieder". Aber wenn wir im Glaubensbekenntnis miteinander bekennen: ich glaube an die Gemeinschaft der Heiligen. Dann dürfen wir wissen: diese Gemeinschaft der Heiligen hört mit dem Tod nicht auf. Und wenn wir uns fragen: Was ist eigentlich der Himmel? Dann können wir sagen: Es ist der Ort, wo Christus über den Tod hinaus unser Herr ist, bis in Ewigkeit. Es ist der Ort, wo sich alle einmal versammeln werden. Alle, die geglaubt und bekannt haben: Jesus Christus ist der Herr über Lebende und Tote. Alle, die bekannt haben: Jesus Christus ist mein Herr.
Und wir, die wir noch nicht sehen, was für eine Herrlichkeit uns erwartet. Wir, die wir noch im Glauben leben, nicht im Schauen. Wir wollen daran denken, und zwar gerade an besonders schweren Tagen. Wir wollen daran denken: Was wir hier auf auf Erden mit unserem Herrn erleben, ja auch: durchstehen.  Das ist noch gar nichts gegen das, was uns erwartet. Dann, wenn es kein Leid,  keine Krankheiten, keinen Tod,  keine Trauer um liebe Menschen mehr gibt. Dann, wenn wir es sehen werden, wie Jesus auch den Tod besiegt hat.
Liebe Geschwister. So lassen wir es in ernsthaftem Glauben, aber darum auch voller Freude für uns gelten: Jesus Christus ist mein Herr, im Leben wie im Sterben. Er ist es umfassend, total - er allein. Denn er ist der einzige, der wirklich das Recht und die Macht dazu hat. Bei ihm bin ich geborgen, an guten, wie an schlechten Tagen. Darauf will ich vertrauen. Im Leben, wie im Sterben. "Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebende Herr sei." Amen.

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