Liebe Gemeinde,
wir haben einen lebendigen, starken, allmächtigen Herrn, einen der
sogar den Tod überwindet. Das macht Mut. Mut für dieses
Leben, aber auch über die Schwelle des Todes hinaus.
Ostern ist ein so fröhliches Fest. Und die Osterlieder sind so
fröhliche Lieder, dass es für den einen oder anderen
vielleicht sogar zu schön ist. Menschen mit großen Sorgen.
Menschen in Krankheitsnot. Oder vielleicht solche, die an Ostern auf
den Friedhof gehen, um am Grab eines lieben Angehörigen still zu
werden. Denen ist vielleicht nicht nach Osterjubel zumute. Und
vielleicht hat die Kirche gerade deshalb diesen Text traditionell in
der Osterzeit auslegen lassen.
Es geht hier um ein Dankgebet eines Menschen, der viel mitgemacht hat
in seinem Leben. Hanna sehnte sich schon seit vielen Jahren nach
Kindern - ohne dass sie und ihr Mann etwas erreicht hätten. Was
für eine Schande, gerade in der damaligen Zeit! Die Leute zeigten
mit Fingern auf sie. Ob es schon Gerüchte gab, dass sie für
eine heimliche, unerkannte Verfehlung von Gott gestraft würde? Da
half ihr auch nicht die Liebe ihres Mannes. Auch nicht, wenn er sie
fragte: Warum bist du so traurig? Du hast doch mich - ist das nicht
mehr wert als zehn Söhne? (1. Samuel 1:8)
Das Schlimmste aber waren die Sticheleien ihrer Konkurrentin. Im
Beziehungs-Durcheinander von heute kommt so etwas immer wieder vor:
Dass ein verheirateter Mann etwas mit einer anderen Frau anfängt.
Und dann hat seine Ehefrau auf einmal eine Konkurrentin, die um ihren
Mann wetteifert und ihn abspenstig machen will. Damals, in Israel, war
solche Konkurrenz offiziell erlaubt: Elkana hatte zwei Frauen: Hanna,
und ihre Konkurrentin Peninna. Eine, die Hanna mit ständigen
Sticheleien das Leben zur Hölle machte: Was - du
willst deinem Mann eine Frau sein? Du bringst es ja nicht
einmal zustande, ihm Kinder zu schenken. (1. Samuel 1:6)
Solche Bosheiten im Umgang miteinander gibt es heute genauso wie
damals, sei es in Beziehungen oder anderswo. Und auch einen
gläubigen Menschen kann das an die Grenze seiner Kraft
führen: Wenn er am Arbeitsplatz gezielt gedemütigt wird, von
Kollegen, oder sogar vom Chef. "Mobbing" nennt man so etwas. Oder wenn
ein Schüler ständig von seinen Mitschülern
gehänselt wird, wenn man ihn nicht in die Gemeinschaft aufnimmt.
Und selbst in den "besten Familien" kommt es vor, dass einer zum
"schwarzen Schaf" gestempelt wird. Vielleicht, weil er nicht in das
Schema hinein passt, das in dieser Familie gilt.
Ja - Hanna könnte solche Nöte gut verstehen, würde sie
heute leben. Aber nicht nur sie könnte es verstehen. Sondern auch
unser Herr Jesus Christus. Denn sein Ostersieg hat eine lange,
hässliche Vorgeschichte. Und wenn es um Herabsetzung,
Demütigung, ja sogar Folter geht. Dann weiß Jesus, wie so
etwas ist. Denn er hat das alles selbst durchgemacht.
Ja - dieses Gebet der Hanna, mit seiner ganzen Vorgeschichte. Es hilft
uns zu verstehen: Ostern ist auch etwas für die Menschen, denen
nicht nach Jubeln zumute ist. Gott "hebt den Dürftigen aus dem
Staub und erhöht den Armen aus der Asche". Und er kann sich dazu
tief genug herab beugen, dass er den Bedürftigen auch
tatsächlich erreicht. Das sehen wir an Hanna. Und das sehen wir
daran, wie es unserem Herrn Jesus Christus ergangen ist. Osterjubel,
auch für solche? Ja - gerade!
Als Hanna so tief unten ist, dass sie kein Licht mehr am Ende des
Tunnels sieht. Da geht sie hinein in das Heiligtum, in den Tempel
Gottes. "Und sie war von Herzen betrübt und betete zum Herrn und
weinte sehr." (1. Samuel 1:10) Eigentlich kann sie nichts Besseres tun
als das. Denn damit zeigt sie: Bei aller Ausweglosigkeit weiß sie
um einen, der noch größer, noch mächtiger, noch
stärker ist. Stärker als alles, was sie niederdrückt.
Stärker als alle Demütigungen, die sie so lange ertragen
musste.
Manchmal sieht es so aus, als ob gewisse Menschen der wichtigste
Machtfaktor sind in dieser Welt. Wenn sie auf der gesellschaftlichen
Leiter nur hoch genug geklettert sind, dann können einige
anscheinend tun und lassen, was sie wollen - selbst Recht und Gesetz
kann ihnen dann nichts mehr anhaben. So könnte man denken, und nur
noch resigniert den Kopf schütteln.
Wenn man allerdings die Nachrichten aufmerksam verfolgt, dann merkt
man: Nicht alle Leute, die groß tun, bleiben auch groß. Und
so liest und hört man immer wieder, wie schnell auch scheinbar
große Leute wieder von der Leiter herunterfallen und auf einmal
ganz klein werden. Da verliert ein Spitzensportler Ansehen und
Karriere, weil er sich aus den Dopingvorwürfen nicht mehr
herausreden kann. Da finden sich Manager und hohe
Gewerkschaftsfunktionäre in Untersuchungshaft wieder, weil man
ihren Betrügereien auf die Schliche gekommen ist. Da geht in einem
Konzern das große Zittern los, während die Kassenprüfer
und Steuerfahnder immer näher rücken.
"Der Herr macht arm und macht reich; er erniedrigt und erhöht." So
heißt es in unserem Predigttext. Wie sagte der frühere
Bundespräsident Gustav Heinemann schon 1950: "Die Herren dieser
Welt gehen, unser Herr kommt!" Gerade die Osterzeit lehrt uns: Was in
dieser Welt geschieht, geht letztlich nicht nach dem, was die Menschen
denken, wünschen, hoffen, befürchten, oder auch erzwingen
wollen. Es geht allein nach dem Willen dessen, der alles in der Hand
hat. Wir haben einen lebendigen, auferstandenen Herrn. Keinen toten
Götzen, sondern einen lebendigen Gott, der mitten in das Geschehen
eingreift und immer noch alles unter Kontrolle hat. Selbst dort, wo es
auf den ersten Blick ganz anders aussieht.
Das konnte auch Hanna erfahren. Und nachdem sie so lange ihre
verzweifelte Lage aushalten musste, da erhörte der Herr ihr Gebet.
Sie und ihr Mann Elkana freuen sich über den Sohn Samuel, der bald
danach auf die Welt kommt. Aber nicht nur das: Nachdem Hanna ihren
kleinen Samuel. So, wie sie es Gott gelobt hat. Nachdem sie Samuel in
die Stadt Silo gebracht hat, damit er dort am Heiligtum aufwachsen
sollte, unter der Obhut des Priesters. Danach erhört Gott sie noch
einmal, gleichsam über Bitten und Verstehen. Und die Frau, die bis
dahin als hoffnungslos unfruchtbar galt, brachte nach Samuel noch drei
weitere Söhne und zwei Töchter zur Welt. (1. Samuel 2:21) Was
ihre Konkurrentin Peninna dazu gesagt hat mit ihren ständigen
Sticheleien, das erfahren wir nicht. Es ist wohl auch nicht nötig.
Wahrscheinlich hat es ihr die Sprache verschlagen und ihren bösen
Mund gestopft.
Deshalb: Egal was dich bedrückt und bedrängt - nur Mut in
dieser österlichen Zeit! Schütte dein Herz vor dem Herrn aus,
sage ihm, was du auf dem Herzen hast. Erwarte alles von ihm - selbst
Dinge, die du selbst für unmöglich hältst. Denn der
lebendige Herr sitzt immer noch im Regiment. Die Chefetage dieser Welt
hält er besetzt, und sonst keiner. Vor ihm werden die großen
Bosse klein. Aber auch die kleinen, gemeinen Leute. Die vielleicht dein
Leben zur Hölle machen. Die müssen vor ihm irgendwann ihren
Mund verschließen - und dann bleibt er zu. Und all anderen Fragen
und Nöte, die vor dir stehen, selbst wo es scheinbar aussichtslos
ist: Auch da sitzt er immer noch an den Schalthebeln, so lebendig und
allmächtig, wie er schon immer war. "Es ist niemand heilig wie der
Herr, außer dir ist keiner, und ist kein Fels, wie unser Gott
ist."
Eigentlich gibt es nur eine Sorte von Menschen, die in dieser Osterzeit
keinen Grund zum Feiern haben: Das sind die, die niemanden über
sich haben wollen. Die, die über ihr eigenes Leben und über
das Leben anderer in eigener Vollmacht bestimmen wollen. Die, die den
Herrn der Welt nicht als ihren höchsten "Chef" anerkennen. Die,
die nicht nach seinem Willen fragen. Ja - die müssen sich wirklich
fürchten. Denn sie haben sich einen Gegner ausgesucht, der
stärker ist als sie. "Der Herr macht arm und macht reich, er
erniedrigt und erhöht." Alle anderen - die haben viel Grund, von
ihrem Herrn alles zu erwarten. Deshalb: Nur Mut in dieser
österlichen Zeit!
Auch in diesem Jahr gehen in der Osterzeit wieder so manche Menschen
auf die Friedhöfe. Sie besuchen das Grab eines lieben Menschen,
den sie verloren haben. Sie hängen alten Erinnerungen nach. Und
sie fragen: Herr, warum? Andere denken vielleicht an einen kranken
Menschen, bei dem die Ärzte gesagt haben: Der ist "austherapiert",
wie man es so nennt. Wir geben ihm noch drei Monate. Oder drei Wochen.
Diese Predigt wäre unvollständig, wenn sie nichts über
die größte Not des Menschen sagen würde: über die
Todesnot. Manche Fragen und Antworten werden erst dann
vollständig, wenn man das mit einbezieht: Die Frage nach dem Tod,
und nach dem, was danach kommt. "Der Herr tötet und macht
lebendig, führt hinab zu den Toten und wieder herauf." Ja - auch
unser Predigttext enthält einen deutlichen Hinweis darauf, dass
wir über dieses Leben hinaus denken müssen. Und ich denke,
dieser Satz ist bereits ein deutlicher, ein prophetischer Hinweis auf
das, das man dann an Jesus Christus klar und deutlich ablesen kann.
Schauen wir auf unseren Herrn Jesus Christus, und darauf, wie es ihm
ergangen ist. Und fragen wir: Was hätte Jesus denken müssen,
wenn er diese Predigt bis hierher gehört hat? Er gehörte ja
zu denen, bei denen es ganz und gar nicht gut ausgegangen ist. Ganz
anders ist es ihm ergangen als Hanna, die nach ihrer Leidenszeit ein
erfülltes, gesegnetes Leben hatte. Jesus hatte gekämpft.
Jesus hatte gebetet: Vater, wenn du willst, dann lass diesen Kelch an
mir vorübergehen. (Matthäus 26:39) Es half alles nichts.
Seine Feinde triumphierten schließlich. Sie konnten ihn gefangen
nehmen. Er wurde ungerecht beschuldigt, gedemütigt, geschlagen und
gefoltert. Und dann feierten sie seinen Tod, und sie dachten, sie
wären ihn endgültig los.
Das ganze Evangelium, die ganze Botschaft des Christentums, all das
wäre sinnlos. Wenn es danach nicht weiter gegangen wäre.
Jesus wäre ein Paradebeispiel dafür geworden, wie machtlos
Gott ist. Oder wie sinnlos es ist, zu ihm zu beten - wenn dann doch
keine Hilfe kommt, und man schließlich sterben muss. Denn dann
müsste man fragen: Ist es Jesus nicht im Grunde ergangen wie so
manchem unheilbar Kranken, der schließlich doch zu Grabe getragen
wurde? Gekämpft bis zum Schluss? Gebetet? Und dann war doch alles
aus, und der Tod hatte das letzte Wort?
Es könnte tatsächlich so aussehen - wenn Gott den Bogen nicht
sehr viel weiter spannen würde. Wenn seine Macht nur dieses Leben
umfassen würde. Wenn sie nur dieses kurze Leben des Menschen
umfassen würde, von dem die Bibel sagt, es dauert 70, und wenn es
hoch kommt 80 Jahre (Psalm 90:10). Deshalb kommt man hier nur zu einem
befriedigenden Abschluss, wenn man die Auferstehung mit einbezieht.
Deshalb macht das Leiden und Sterben Jesu nur dann Sinn, wenn man
weiß: Am dritten Tag war sein Grab leer. Am dritten Tag war alles
anders. Am dritten Tag zeigte Gott, dass er wirklich der Herr aller
Herren ist. Der Herr, der sogar dem Tod nicht das letzte Wort
lässt - weil er stärker ist als der Tod. "Der Herr tötet
und macht lebendig, führt hinab zu den Toten und wieder herauf."
Jetzt - erst jetzt, und keine Sekunde vorher! Erst jetzt hatten sich
alle Fragen aufgelöst. Und es war klar: Der Tod am Kreuz - der war
in Wirklichkeit ein Sieg des Lebens. Deshalb konnte Jesus schon am
Kreuz sagen: "Es ist vollbracht." (Johannes 19:30)
Ja - an Jesus können wir sehen: Es geht nicht immer gut aus, wenn
wir unseren Blick allein auf dieses Leben richten. Auf die 70, 80, oder
wie vielen Jahre auch immer, die Gott uns für diese Erde gibt.
Nein - nicht alle Fragen lösen sich in diesem Leben. Erst, wenn
man über den Horizont schaut. Erst dann ordnet sich alles sinnvoll
zusammen. Und wir erkennen: Der Herr bleibt immer noch der Heilige, der
Fels, von dem hier die Rede ist.
Was mag das heißen, etwa für einen kranken Menschen, der dem
Tod ins Auge sehen muss? Er kann sich im Glauben an Jesus wenden. Er
kann sich an den wenden, der ihn rettet von der Sünde, vom
Tod und vom Teufel. Er kann wissen: Auch wenn ich dem Tod ins Auge
sehe, es geschieht nichts, was der Herr nicht will. Das kann einem
Todkranken und seinen Angehörigen Mut machen, immer wieder zu
beten. Und er darf wissen: Sogar mich kann der Herr heilen, wenn er
will. Die ganzen 2000 Jahre der Christenheit sind Zeuge dafür,
dass solche Wunder geschehen sind und immer wieder geschehen
können.
Aber er darf und soll auch wissen: Ob mich Jesus jetzt heilt oder nicht
- die eigentliche Auflösung aller Fragen. Die gibt es erst, wenn
wir die Grenze überschreiten. Und da ist es egal, ob wir die
Grenze in jungen Jahren überschreiten, weil uns ein Unglück
viel zu früh aus dem Leben reißt. Oder ob wir sie in
gesegnetem Alter überschreiten, nach einem langen, erfüllten
Leben. Die eigentlichen Fragen lösen sich erst auf, wenn Gott
einem gläubigen Menschen dann einmal ein neues, ein ewiges Leben
gibt. Wenn einer, der zu Lebzeiten Jesus treu nachgefolgt ist. Wenn
einer, der schon da seinen Frieden mit Gott gemacht hat. Wenn der nun
seinen Herrn sehen kann, und bei ihm zu Hause ist. Nicht nur für
70 oder 80 Jahre. Sondern für eine ganze Ewigkeit. Da ist dann
wirklich alles gut ausgegangen - für immer. So wie schon damals,
am dritten Tag, als das Grab leer war.
Deshalb: Lasst uns voller Mut zu unserem lebendigen Herrn kommen.
Wir wollen ihm vertrauen. Er ist immer noch der Herr. In diesem
Leben, egal was mich bedrängt. Im Sterben. Und darüber
hinaus, wenn wir die Grenze überschreiten. Und dorthin gehen, wo
sich alle, wirklich alle Fragen auflösen. "Der Herr tötet und
macht lebendig, führt hinab zu den Toten und wieder herauf." "Es
ist niemand heilig wie der HERR, außer dir ist keiner, und ist
kein Fels, wie unser Gott ist." Amen.