"Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig"
Predigt über 2. Korinther 3,6b.12-18
6 ... Denn der Buchstabe tötet,
aber
der Geist macht lebendig. ... 12 Weil wir nun solche Hoffnung haben,
sind wir voll großer Zuversicht 13 und tun nicht wie Mose, der
eine Decke vor sein Angesicht hängte, damit die Israeliten nicht
sehen konnten das Ende der Herrlichkeit, die aufhört. 14 Aber ihre
Sinne wurden verstockt. Denn bis auf den heutigen Tag bleibt diese
Decke unaufgedeckt über dem alten Testament, wenn sie es lesen,
weil sie nur in Christus abgetan wird. 15 Aber bis auf den heutigen
Tag, wenn Mose gelesen wird, hängt die Decke vor ihrem Herzen. 16
Wenn Israel aber sich bekehrt zu dem Herrn, so wird die Decke abgetan.
17 Der Herr ist der Geist; wo aber der Geist des Herrn ist, da ist
Freiheit. 18 Nun aber schauen wir alle mit aufgedecktem Angesicht die
Herrlichkeit des Herrn wie in einem Spiegel, und wir werden
verklärt in sein Bild von einer Herrlichkeit zur andern von dem
Herrn, der der Geist ist.
Liebe Geschwister,
wie können wir das Wort Gottes in rechter Weise hören und
lesen? So, dass es für uns ein persönlicher Gewinn wird? "Der
Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig." Deshalb haben
unsere Glaubensväter auch immer wieder gesagt: Jesus Christus ist
die lebendige Mitte der Heiligen Schrift. Wie aber kann das zugehen?
1. Heiliger Geist contra Bibelbuchstabe?
"Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig." Kaum ein
Wort der Bibel ist so sehr strapaziert und - wie ich meine -
grundsätzlich missverstanden worden wie dieses. Allzu häufig
zitiert man dieses Wort, wenn man sagen will: Wir brauchen und wir
sollen die Bibel nicht "einfach so und wortwörtlich" nehmen, wie
es da steht. Nein - das wäre "toter Buchstabenglaube". Der
lebendige Geist Gottes lässt sich doch nicht in ein Buch
einsperren! Wo der Geist der Herrn ist, da ist schliesslich Freiheit.
Lasst uns also herausfinden, was der Geist Jesu von uns will. Wo die
Bibel uns dabei helfen kann, mag sie es tun. Wo sie uns aber mit
veralteten Vorstellungen im Weg steht, da lasst uns den toten
Bibelbuchstaben überwinden - im Namen des Geistes, lasst uns die
Freiheit entdecken!
Was ich hier etwas extrem ausgedrückt habe, ist wahrlich kein
neuer Gedanke. Bereits vor 1800 Jahren gab es einen - weltberühmt
gewordenen - Theologen namens Origenes. Nebenbei bemerkt: Wenn uns
dieser Name heute begegnet, dann häufig in Form einer
Anekdote. Origenes, ein zutiefst ernster Christ und Verteidiger
der christlichen Lehre, soll angeblich aus seinem Ernst eine letzte
Konsequenz gezogen haben: angeblich hat er sich in seiner Jugend selbst
entmannt, um den "Lüsten des Fleisches" widerstehen zu
können. Aber das ist nach heutiger Kenntnis sehr wahrscheinlich
eine Sage...
Wie dem auch sei - ihm war jedenfalls der blosse Buchstabe der Schrift,
"so, wie es dasteht", nicht genug. Und so ist er, wie ich meine, bis
heute das Vorbild für alle, die so mit der Bibel umgehen. Nach
Origenes' Meinung enthielt die Bibel allerlei schwer
Verständliches oder sogar Sinnloses: Z.B. die Beschreibung der
ersten Schöpfungstage, sinnlose Gesetze wie komplizierte Sabbat-
und Speisevorschriften, oder Ereignisse, die - vernünftig
betrachtet - so niemals stattgefunden haben können. "Darum soll
jeder, dem es an der Wahrheit liegt, sich wenig um Worte und Sprache
kümmern." Er soll statt dessen "seine Aufmerksamkeit auf die Bedeutung richten, die diese Worte
übermitteln, und nicht auf die Worte..." , so schreibt er in einem
seiner Bücher. (Origenes, Von den Anfängen, IV,1,27,
Hervorhebung von mir)
Das, was die Bibel bedeutet - der vermeintliche "Geist" der Schrift -
soll wichtiger sein als die schlichten Sätze, "so, wie es
dasteht". Um ein Beispiel zu bringen: so kann jener Origenes auf einmal
- auf geheimnisvolle, geistliche Weise - in der Geschichte Israels und
seiner Nachbarvölker Sinnbilder entdecken: Sinnbilder für die
Wohnorte der menschlichen Seele, die diese nach ihrem Tod aufsuchen
soll. Es ist schon erstaunlich, was man alles in die Bibel
hineinlesen kann, wenn man sich von ihrem schlichten Wortsinn
löst... Doch auch heute noch gibt es eine Fülle von
Auslegungen, Andachten, Predigten, wo man sich hinterher sagen muss:
das klang ja alles recht schön und gut, es hat mir sogar ein
erbauliches Gefühl gegeben, nur - wo steht das eigentlich in der
Bibel?
Ist eine solche "freie" Auslegung die Bedeutung von: "Der Buchstabe
tötet, aber der Geist macht lebendig"? Zu Recht haben die
Väter der Reformation, wie Martin Luther und Johannes Calvin, sich
ausdrücklich gegen solche Ideen gewandt. Und auch für John
Wesley, den Gründer unserer Kirche, war es
selbstverständlich: der Buchstabe der Schrift, der schlichte
Wortsinn, ist die Grundlage seiner Verkündigung, ja des ganzen
methodistischen Werkes.
"Denn des Herrn Wort ist wahrhaftig, und was er zusagt, das hält
er gewiß." (Psalm 33:4) So sagt es der Psalmist, und er
drückt damit aus: Gott will uns in seinem Wort keinen "Bären
aufbinden", er und seine Boten haben in der Bibel keine Fehler
eingebaut, und nach einer geheimnisvollen Bedeutung hinter dem
schlichten Wortsinn haben wir auch nicht zu suchen. Wir sehen - wie
Paulus hier sagt - "mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des
Herrn" - an seinem Evangelium gibt es nichts Geheimnisvolles,
Verborgenes. Wir sollen die Bibel deshalb einfach so nehmen, wie es
dasteht. Und so sagt Jesus zu Recht in der Bergpredigt: "Denn wahrlich,
ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird nicht vergehen der
kleinste Buchstabe noch ein Tüpfelchen vom Gesetz, bis es alles
geschieht." (Matthäus 5:18) Wenn es sich aber so verhält, was
bedeutet der Satz dann stattdessen: "Der Buchstabe tötet, aber der
Geist macht lebendig"?
2. Der Buchstabe tötet
In der Tat gibt es bis heute die Erfahrung, dass der Bibel-Buchstabe
tatsächlich scheinbar "tötet". Oft meint man damit eine
sehr einfache Tatsache: Ein Mensch liest die Bibel, hört Predigten
über die Bibel, und stellt danach fest: Das Ganze sagt mir nichts.
Alles ist einfach staubtrocken, hat nichts mit meinem Leben zu tun, und
deshalb ist es sozusagen "tödlich langweilig".
Abgesehen davon, dass selbst dem besten Prediger eine Predigt
misslingen kann, sie "nicht ankommt" und tatsächlich langweilig
ist. Abgesehen davon gibt es hier auch einen sehr viel tieferen,
geistlichen Zusammenhang. Einen tieferen Grund, warum ein Mensch vom
Wort Gottes einfach nicht erreicht wird. Warum das Wort nicht sein Herz
berührt. Ja, warum das Wort vielleicht sogar eine heftige
Ablehnung gegen die Botschaft erzeugt.
Um das zu verstehen, müssen wir mehrere tausend Jahre in der
Geschichte zurückgehen (2. Mose 34,29-35). Es ist jener
denkwürdige Tag, als Mose mit der zweiten Ausgabe der Zehn Gebote
vom Berg Sinai herabsteigt. Ja, es ist die "Zweite Auflage" der Gebote.
Nicht eine Neuauflage wegen der großen Nachfrage nach den Geboten
- sondern die Tafeln der ersten Ausgabe hatte Mose voller Zorn
zerbrochen. Zerbrochen, als er sein Volk beim Tanz um das Goldene Kalb
sehen musste.
Als Mose sich nun dem Lager seines Volkes nähert, geschieht etwas
höchst Merkwürdiges: Auf seinem Gesicht strahlt ein geradezu
übernatürlicher Glanz. Der Glanz ist so stark, dass sich die
Menschen fürchten, näherzukommen. Der Glanz ist so stark,
dass Mose - nachdem er zu seinem Volk gesprochen hat - eine Decke
über sein Gesicht hängen muss. Eine Decke - sonst hätten
sie es nicht ertragen. Das gleiche Phänomen geschieht nun mit Mose
immer wieder: immer, wenn er mit dem Herrn redet. Immer, wenn Gott ihm
sein Wort sagt, drinnen, im Zelt der Stiftshütte. Dann glänzt
hinterher sein Angesicht unerträglich stark, und er muss es vor
seinem Volk hinter einer Decke verbergen.
Ja, auch das gibt es bis heute: Dass ein Mensch den "Glanz" von Gottes
Wort. Oder selbst den Menschen, der das Wort Gottes verkündigt.
Dass ein Mensch das nicht ertragen kann. Es ist jener
unerträgliche Glanz, jenes unerträglich helle Licht, mit dem
das Wort Gottes bis in die verborgenen und dunklen Ecken meines Herzens
hineinleuchtet. Dieser Glanz, der selbst heimliche Sünden aus der
Finsternis ans Tageslicht bringt.
Paulus schreibt, wie sein eigenes Volk, viele Jahrhunderte nach Mose,
immer noch diese Erfahrung macht: "Aber bis auf den heutigen Tag, wenn
Mose gelesen wird, hängt die Decke vor ihrem Herzen." Eine Decke
zwischen mir und dem Wort Gottes. Eine Decke, die gleichsam gewebt ist
aus meinen Sünden. Ein undurchdringliches Gewebe, das verhindert,
dass das Wort Gottes bis zu meinem Herzen vordringt. Sehen wir jetzt,
warum das Wort Gottes bei vielen Menschen überhaupt nicht bis zu
ihrem Herzen vordringt? Warum die Bibel für sie ein "Buch mit
sieben Siegeln" bleibt? Warum das Wort Gottes ihnen nichts sagt? Es
liegt nicht immer daran, dass man ihnen die Bibel nicht richtig
erklärt hat. Es liegt nicht immer an "tödlich langweiligen"
Predigten. Allzu oft liegt es an dieser dunklen Decke über dem
Herzen.
Das ist in der Tat eine kühne, erstaunliche Auslegung, die Paulus
hier dem 2. Buch Mose gibt. Wenn Paulus nicht Apostel wäre, der
über sein Evangelium zu Recht sagen kann: "Denn ich habe es nicht
von einem Menschen empfangen oder gelernt, sondern durch eine
Offenbarung Jesu Christi." (Galater 1:12) Wenn Paulus nicht Apostel
wäre, von Christus beauftragt, einen Teil des Neuen Testaments zu
verfassen. Sondern wenn wir, heute, ohne einen solchen Auftrag, eine
solche kühne Auslegung versuchen würden. Dann könnte man
uns vorwerfen: Jetzt tust du genau das, wovor man uns gewarnt hat. Du
weichst vom Wortsinn ab, und siehst bei Mose und dem Glanz auf seinem
Gesicht einen geheimnisvollen Hintersinn. Paulus kann hier in der Tat
weiter gehen, als wir es heute dürfen. Heute, nachdem das Neue
Testament abgeschlossen ist.
Aber weil Paulus tatsächlich vom auferstandenen Jesus selbst
dazu beauftragt ist, deshalb können wir davon lernen.
Lernen, von der Decke über dem Herzen. Dieser Decke aus unseren
Sünden, die uns vom Wort Gottes wirksam abschirmt. Und wir
verstehen jetzt auch besser, was es heisst: "Der Buchstabe tötet."
Denn wenn diese Decke abgenommen wird, dann hat das tatsächlich
tödliche Folgen - für unsere Sünde. All die Sünden,
die auf einmal - ungeschützt - dem Gericht Gottes ausgesetzt sind.
"Und so fand sich's, daß das Gebot mir den Tod brachte, das doch
zum Leben gegeben war." (Römer 7:10) So beschreibt Paulus, wie er
selbst jene Erfahrung machte: "Der Buchstabe tötet." Sehen wir es
jetzt, wie der Buchstabe der Bibel gleichsam tödliche Folgen haben
kann? Tödliche Folgen für unsere Sünde? Wenn wir
ungeschützt dem hellen Licht von Gottes Wort ausgesetzt sind? Und
doch ist das noch nicht der letzte, der beste Teil der Botschaft.
Deshalb:
3. Der Geist macht lebendig, oder: Jesus Christus, die lebendige
Mitte der Bibel
Wie kann das nun zugehen, dass die Bibel für uns tatsächlich
kein Dokument aus längst vergangener Zeit bleibt, seltsam und
voller unverständlicher Dinge? Sondern dass die Bibel
für uns lebendig wird, und mitten in unser Leben hinein spricht?
Wie kann es sein, dass Predigten für mich ein Gewinn sind, und die
Bibelstunde keine Pflichtübung darstellt, sondern eine Begegnung
mit meinem lebendigen Herrn?
Dass eine fantasievolle Bibelauslegung, fernab vom Wortsinn. Eine
Auslegung, die mir vielleicht gefällt, mit schönen
Einfällen und Geschichten garniert. Etwas, das für Gemüt
und Verstand ansprechender ist als der schlichte Sinn, "so, wie es
dasteht". Dass das keine Lösung sein kann, haben wir schon
gesehen.
Wie aber hat Paulus es dann gemeint, wenn er sagt: "Der Geist macht
lebendig"? Paulus schreibt über sein Volk: "Wenn Israel aber sich
bekehrt zu dem Herrn, so wird die Decke abgetan." Sie wird, wie er kurz
vorher sagt, "nur in Christus abgetan". Das ist also der Schlüssel
zur Bibel: Meine Bekehrung zu Christus. Ein gelehrter Mensch, der sich
der Bibel voller Forscherdrang zuwendet. Aber der in seinem Herzen
unbekehrt ist und sie ohne Glauben liest. Der mag vielleicht allerlei
interessante Einzelheiten zutage fördern, es vielleicht sogar zu
einem theologischen Doktortitel bringen - doch wirklich verstehen wird
er die Bibel nicht.
Ein Mensch dagegen, der niemals studiert hat, aber sich der Bibel
voller Vertrauen zuwendet, weil er dort seinen lebendigen Herrn reden
hört - der wird der Sache der Bibel wirklich auf den Grund gehen
können. Weil die Decke über seinem Herzen abgenommen ist, und
weil der Herr ihm alle die Sünden vergeben hat, aus denen diese
Decke gewebt war.
Doch manchmal werden auch die theologischen Gelehrten von Gottes Geist
ergriffen. Es war vor fast 500 Jahren, da suchte ein solcher Mensch
voller Unruhe seinen Frieden mit Gott. Er schreibt darüber im
Rückblick: "Ich aber, der ich, obgleich ich als untadeliger
Mönch lebte, mich vor Gott als Sünder mit unruhigstem
Gewissen fühlte ... liebte nicht, nein ich hasste den gerechten
und die Sünder strafenden Gott." Das war die Zeit, als noch die
Decke vor dem Herzen dieses Menschen hing. Doch nach langem,
mühsamen Bibelstudium und vielen Gebeten ging ihm ein Licht
auf: "Da fing ich an, die Gerechtigkeit Gottes als die
Gerechtigkeit zu verstehen, durch die der Gerechte als durch Gottes
Geschenk lebt, nämlich aus dem Glauben ... Da fühlte ich,
daß ich geradezu neugeboren und durch die geöffneten Pforten
in das Paradies selbst eingetreten war." Nun hatte er die Vergebung der
Sünden erfahren, die Decke von seinem Herzen war abgenommen,
Christus war in sein Leben getreten. Und auf einmal begann dieser
Theologe, die ganze Bibel in einem neuen Licht zu lesen. Er schreibt:
"Da erschien mir durchgehend ein anderes Gesicht der ganzen Schrift." (Martin Luther, aus der Vorrede zum 1. Band
der Gesamtausgabe seiner lateinischen Werke, Wittenberg 1545)
Wir ahnen vielleicht, wer dieser Mensch war: es war Martin Luther, der
über dem Studium des Römerbriefs zum Glauben an Jesus
Christus fand, und darüber eine völlig neue Art entdeckte,
die Bibel zu lesen. Nebenbemerkung: Wer darüber mehr wissen
will, dem möchte ich sehr den neuen Luther-Kinofilm bzw. das
entsprechende Video empfehlen. Dieser Film berichtet nicht nur lebendig
und spannend, sondern er bringt auch wesentliche Teile der geistlichen
Botschaft Luthers (er wird auch am Reformationstag, den 31. Oktober
2005, um 20.15 Uhr in der ARD gesendet).
Jedenfalls: Nach dieser Erfahrung mit dem lebendigen Herrn dachte
Luther viel darüber nach, und er drückte seine Entdeckung
schliesslich so aus: Die Bibel ist Gottes Wort, jedes einzelne Wort
davon. Wir sollen sie genauso nehmen, wie sie dasteht. Aber diese Worte
sind keine toten Worte, sondern sie haben Leben in sich: Jesus Christus
selbst ist die lebendige Mitte der Heiligen Schrift. Ohne den Glauben
an Jesus Christus ist sie für mich ein tötender Buchstabe,
solange die Decke vor meinem Herzen hängt. Aber mit Jesus Christus
gilt: "Der Geist macht lebendig." Mit Jesus Christus führt mich
die Bibel in jene herrliche Freiheit der Gotteskinder, wo ich voller
Vertrauen zu Gott "Lieber Vater" sagen kann: "Der Herr ist der Geist;
wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit." (vgl. dazu auch
Römer 8)
So bleibt am Schluss eigentlich nur eine Frage: Wie lese ich die Bibel?
Wie höre ich Verkündigung? Kenne ich diese wunderbare
Erfahrung, wie aus der Beschäftigung mit dem Bibel-Buchstaben auf
einmal Jesus Christus mitten in mein Leben hinein spricht? Wohl dem,
der das schon erfahren hat - er hat viel Grund zu danken. Und er kann
erwarten: je mehr ich mich fleissig um den Buchstaben der Schrift
bemühe. Sei es durch das Lesen der Bibel, sei es durch Predigten
oder Bibelstunden. Je mehr ich mich darum bemühe - desto mehr hat
Jesus Christus, die lebendige Mitte der Schrift. Desto mehr hat er
Gelegenheit, mich mitten in mein Leben hinein, mitten in meinem Herzen
anzusprechen. Wohl dem, der keine trennende Decke vor seinem Herzen
hängen lässt! "Denn der Buchstabe tötet, aber der Geist
macht lebendig." Amen.
Anmerkung: Der interessierte Leser
sei in diesem Zusammenhang auf meinen Aufsatz "Bibelauslegung
und Heiliger Geist"
verwiesen, der das Ganze noch einmal wesentlich vertieft und auch
ergänzende Informationen zu den Theologen Origenes und Luther gibt.
In unserer Zeit hat Origenes mit
seiner umfassenden Gelehrsamkeit, aber auch mit seiner fantasievollen
Auslegung über den Wortsinn der Bibel hinaus, m.E. würdige
Nachfolger gefunden. Ich nenne etwa den katholischen Theologen Eugen
Drewermann, von dessen "tiefenpsychologischer Bibelauslegung" man
sich - soweit ich sehe - auch gern im evangelischen Raum inspirieren
lässt. Ich möchte in dem Zusammenhang z.B. auf meditative
Zugänge zur Bibel, Bibliodrama etc. hinweisen.
Ein Beispiel: So kann Drewermann
etwa den Auszug Israels aus Ägypten und die Jahre danach aus
ihrem geschichtlichen und heilsgeschichtlichen Zusammenhang
herauslösen, und ohne weiteres als Sinnbild für die
Entwicklung einer menschlichen Persönlichkeit auffassen, s. Eugen
Drewermann, Tiefenpsychologie und Exegese, Band I: Traum, Mythos,
Märchen, Sage und Legende, 2. Auflage Olten/Freiburg i.B. 1991,
S.483ff).
zurück zur Übersicht