Denn Gott war in Christus und
versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre
Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der
Versöhnung. 20 So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn
Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch
versöhnen mit Gott! 21 Denn er hat den, der von keiner Sünde
wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die
Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.
Liebe Gemeinde,
Gott kommt zu uns und wird Mensch, in Christus. Und dieser Christus
macht am Kreuz aus uns Sündern Gottes Kinder. Das ist das Wunder
von Karfreitag. Das ist das Wunder der grenzenlosen Liebe Gottes.
Um das Wunder von Karfreitag zu verstehen, müssen wir zuerst
verstehen, wer da an Weihnachten zu uns gekommen ist. Und wer dann
schließlich am Kreuz von Golgatha hängt. Die traditionelle
Art, in der Kirche Weihnachten zu feiern, beschäftigt sich vor
allem mit dem kleinen Menschenkind Jesus, das mehr oder weniger
niedlich in seiner Krippe liegt. Wir lesen das Weihnachtsevangelium
nach Lukas: "Es begab sich aber zu der Zeit, daß ein Gebot von
dem Kaiser Augustus ausging, daß alle Welt geschätzt
würde." ... usw. (Lukas 2,1ff). Dazu passt sehr gut ein
Krippenspiel und romantische Lieder wie: Joseph, lieber Joseph mein,
hilf mir wiegen mein Kindelein. Oder: Süßer die Glocken nie
klingen.
Es gibt aber noch eine andere Weihnachtsgeschichte. Sie steht am Anfang
des Johannesevangeliums, und sie klingt, als käme sie aus einem
anderen Universum: "Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott,
und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind
durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was
gemacht ist. ... Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und
wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen
Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit." (Johannes 1,1-3.14) Die
Anklänge an den Schöpfungsbericht sind unverkennbar: "Im
Anfang schuf Gott Himmel und Erde." (1. Mose 1,1)
Das heißt: Dieses Kind in der Krippe ist nicht nur ein kleines
Menschenkind, das gerade das Licht der Welt erblickt hat. Sondern es
hält auch alle Sterne in seiner Hand. Alles, was lebt und atmet,
ist durch dieses Kind gemacht. Deshalb singen wir mit Martin Luther im
Weihnachtslied: "Den aller Welt Kreis nie beschloß, der liegt in
Marien Schoß; er ist ein Kindlein worden klein, der alle Ding
erhält allein." (Evangelisches Gesangbuch 23,3) Unendlich lange
bevor Gott sein erstes Schöpfungswort sprach: "Es werde Licht."
(1. Mose 1,3) Da war Jesus schon beim Vater. Deshalb ist Jesus ist so
einzigartig und unvergleichlich.
"Gott war in Christus", so drückt Paulus dieses Wunder aus. Die
Kirche der ersten Jahrhunderte nach Christus hat dies beschrieben,
indem sie sagte: In Jesus Christus sind zwei Naturen vereint. Er ist
wahrer Mensch aus Fleisch und Blut wie wir, versuchlich und sterblich.
Und er ist ebenso wahrer Gott, das ewige Wort des Vaters, durch das das
Weltall erschaffen wurde. Als Jesus aus der Ewigkeit zu uns auf die
Erde kam, da ist es, als ob sich seine Gottheit eine Zeit lang
versteckt hat. Nicht verschwunden ist sie, aber sie hat sich versteckt,
in einem kleinen Kind in der Krippe, in einem wandernden Prediger, in
einem sterbenden Mann am Kreuz. Nur ab und zu geschah es, und seine
Gottheit schien durch die Menschheit hindurch, so dass sie für die
Menschen seiner Zeit sichtbar wurde: Als er den Sturm stillte oder als
in göttlicher Vollmacht die Sünden vergab. Jesus Christus -
wahrer Mensch und wahrer Gott. Jesus Christus, ein Gott-Mensch, kam in
unsere Welt.
In Zeiten des geistlichen Aufbruchs. Wenn der Geist Gottes kommt,
und durch eine Gemeinde weht. Da geschehen manchmal eigenartige Dinge,
die man sonst so nicht kennt. Wir hatten solche Aufbrüche auch
hier in unserer Region, als vor über hundert Jahren die
Minden-Ravensberger Erweckung in unser Land kam. Menschen begegneten
der Heiligkeit Gottes. Sie spürten den Zorn Gottes über ihre
Sünde. Sie spürten ihn so sehr, dass sie nicht ein noch aus
wussten. Die Last ihres Gewissens erdrückte sie. Bis sie Jesus
fanden, den gekreuzigten Heiland.
Hier kommt der Schrei Jesu am Kreuz ins Spiel: "Mein Gott, mein Gott,
warum hast du mich verlassen?" (Markus 15,34) Warum schreit Jesus so?
Ist er schon besinnungslos vor Schmerzen, und weiß nicht mehr,
was er sagt? Viele Ausleger in der Geschichte der Kirche haben
darüber nachgedacht. Die treffendste Erklärung hat meiner
Meinung nach Martin Luther gefunden (Psalmenkommentar 1519 bis 1521,
nachgewiesen bei: Marc Lienhard, Martin Luthers christologisches
Zeugnis, Berlin 1980, S. 88ff). Natürlich hat Jesus vor Schmerzen
geschrien, denn er hing an einem der grausamsten Folterinstrumente, das
sich Menschen jemals ausgedacht haben. Aber das war noch nicht alles.
Vor allem spürte er in seiner Seele den Zorn Gottes.
Paulus schreibt in unserem Predigttext, Gott ".. hat den, der von
keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht." Jesus,
der Sündlose, trug in sich die Sünde der gesamten Menschheit.
Gott selbst hatte ihm diese Last auferlegt. Nicht nur die Sünde
aller Menschenschlächter und Diktatoren, die die Geschichte je
hervorgebracht hat. Sondern auch deine Sünde, und meine
Sünde. Die Sünde von Milliarden von Menschen, aller Menschen,
die jemals gelebt haben, und die noch leben werden. Und als Jesus am
Kreuz hing, da spürte er den Zorn Gottes über diese
unendliche große Sündenlast. Er fühlte, wie Gottes Zorn
diese Sünde bestrafte, in ihm, in Jesus. Und dann schrie er: Mein
Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Ich habe am Anfang gesagt: Um das Wunder von Karfreitag zu verstehen,
müssen wir zuerst begreifen, wer da in Jesus Christus zu uns
gekommen ist. Wir haben im ersten Abschnitt der Predigt gesehen: Jesus
ist sowohl wahrer Mensch, leidensfähig wie du und ich. Und er ist
wahrer Gott, Schöpfer des Universums, und seit
Ewigkeiten ein Teil des dreieinigen Gottes. Wenn nun Gott in Christus
war, und in Christus die Strafe über die Sünde der Menschheit
vollzogen hat. Dann würde das tatsächlich bedeuten:
Gott hat sich am Kreuz von Golgatha selbst bestraft.
Manche Menschen leiden unter einer merkwürdigen Störung. Sie
haben das Bedürfnis, bestraft zu werden, oder sich selbst zu
bestrafen. Das kann bis dahin gehen, dass sie sich Verletzungen
zufügen. Die Psychologen haben dafür verschiedenartige
Erklärungen gefunden. Eins ist dabei klar: Es handelt sich um eine
krankhafte Störung, und der Betreffende braucht Hilfe, um davon
frei zu werden. Gott bestraft sich am Kreuz von Golgatha selbst,
in Christus, dem Gott-Menschen. Ist das also gleichsam eine
"krankhafte" Vorstellung?
Nein, ist es nicht. Denn diese Bestrafung hat ein bestimmtes Ziel:
Christus wird "für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm
die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt." Wenn wir, die
Menschen, die Gerechtigkeit werden, die vor Gott gilt. Wenn wir mit
Gott versöhnt werden. Dann heißt das: Der Zorn Gottes
über unsere Sünde ist vorbei. Denn der Richter über
unsere Sünde wird selbst zum Verurteilten. So groß ist
Gottes Liebe zu uns, dass er sich in Christus lieber selbst bestraft,
als dass er seinen heiligen Zorn gegen uns wendet. "Denn also hat Gott
die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, damit
alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige
Leben haben." (Johannes 3,16)
Ach, wenn wir dieses Wunder von Weihnachten und Karfreitag doch nur
besser begreifen würden. Wenn wir doch nur mehr darauf vertrauen
könnten. Dass Gott tatsächlich alles getan hat. Damit wir
frei und froh als seine Kinder leben können. Voller Vertrauen zu
unserem himmlischen Vater, und voller Freude über unsre
Erlösung. Wir wollen ihn um seinen Heiligen Geist bitten, damit er
dieses Vertrauen in uns stärkt. "Wie wunderbarlich ist doch diese
Strafe! Der gute Hirte leidet für die Schafe, die Schuld bezahlt
der Herre, der Gerechte, für seine Knechte." (Evangelisches
Gesangbuch 81,4) Amen.