Gottes Wort dringt durch - Predigt über Hebräer 4,12-13

Hebräer 4:12 Denn das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert, und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens.  13 Und kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es ist alles bloß und aufgedeckt vor den Augen Gottes, dem wir Rechenschaft geben müssen.

Liebe Geschwister,

das Wort Gottes dringt durch. Es dringt so durch, so dass Gott auch den letzten Winkel unseres Herzens erreicht, und uns direkt ansprechen kann. Wie gut, dass es ein solches Wort gibt!

1.  Das Wort Gottes dringt durch und deckt auf

"Alles ist bloß und aufgedeckt vor den Augen Gottes, dem wir Rechenschaft geben müssen". Wer diese Worte beunruhigend findet - der hat völlig recht. Es ist "gefährlich", sich dem Wort Gottes auszusetzen! Eigentlich müsste man auf jeder Bibel einen warnenden Aufkleber anbringen: "Vorsicht, hochwirksam und explosiv - Öffnen des Buches auf eigene Gefahr!"
Warum ist die Bibel so beunruhigend, warum stört sie meine Ruhe? Warum kann eine einzige Predigt alles durcheinanderbringen, was ich mir für mein Leben so schön zurechtgelegt habe? Ich denke, es liegt vor allem daran - dass der Mensch "im Naturzustand" immer gern etwas zu verbergen hat. Schon kleine Kinder schrecken manchmal auf, wenn unversehens Mutter oder Vater ins Zimmer kommen - und sehen, was die lieben Kleinen gerade angerichtet haben. Adam und Eva, damals im Paradies. Nachdem sie von der verbotenen Frucht gegessen hatten. Da versteckten sie sich hinter den Bäumen - als plötzlich Gott in ihrem Garten erscheint. Er hat uns ertappt! - so kam es ihnen siedend heiß. "Wo bist du?" - rief Gottes Wort den Adam. Und da konnte er sich nicht mehr verstecken. Da konnte er nicht mehr verbergen, was sie gerade getan hatten. (1. Mose 3:9ff). Das Wort Gottes "dringt durch... und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens".
Was unternimmt der Mensch nicht alles, um anderen Menschen etwas vorzumachen?  Manche prominenten Menschen haben sogar "Imageberater". Damit sie wissen, wie sie vor der Öffentlichkeit als schöne, als fleißige, als gute, als liebenswerte Menschen usw. usw. erscheinen können. Wer steht schon gern vor anderen da, "bloß und aufgedeckt", und alle sehen, wie man wirklich ist?
Und in der Tat. So wohltuend mir das Wort Gottes - zu Recht! - oft erscheint. Eines gehört zu seinen unbequemsten Eigenschaften. Nämlich dass es mir klipp und klar macht: Gott kann ich nichts vormachen. Da fällt auch die beste Fassade. Und ich stehe vor ihm, "bloß und aufgedeckt". Und bin mir nur allzu bewusst: Gemessen an seinen Geboten. Da ist wahrlich "mein Hemd zu kurz".
Also: Sehen wir uns vor, wenn wir eine Bibel aufschlagen. Sehen wir uns vor, wenn wir eine Predigt hören. Wer sein Leben ungestört führen will - der sollte vom Wort Gottes tunlichst die Finger lassen. Dieses Wort könnte ihm sonst zudringlich werden, und ihn in höchstem Maße beunruhigen. Und ich denke, wenn wir heute herumfragen würden, unter uns. Dann könnte das sicher mancher aus eigener Erfahrung bestätigen: O ja, es hat mich schon manches Mal aufgestört aus meiner Ruhe, dieses Wort. Es hat mir einfach keine Ruhe gelassen - bis ich darauf gehört habe.

2.  Das Wort Gottes dringt durch - und befreit

Wie gut, wie segensreich, dass nicht alle zufrieden sind mit einem "faulen Frieden". Einen "Frieden", bei dem ich "den lieben Gott einen guten Mann sein lasse". Wenn sein Wort nicht mich herankommt, und die Bibel zugeklappt bleibt. Wie gut, dass sich das nicht alle wünschen - von Gottes Wort in Ruhe gelassen zu werden. Sonst wären wir heute auch nicht zusammen, zum Gottesdienst - oder?
Warum bringt das Wort Gottes echten - und keinen faulen - Frieden? Das Wort Gottes ist ein "Richter der Gedanken und Sinne des Herzens". Jedermann weiß, dass es vor Gericht auf zwei wichtige Dinge ankommt. Zum Ersten: Vor Gericht, da wird Klartext  geredet, da soll die Wahrheit ans Licht kommen, nichts verborgen werden. Manchmal muss man darauf sogar einen Eid ablegen, um diese Wahrheit zu bekräftigen. Und dann, zum Anderen: Wenn alle Beweise erhoben sind, dann hat der Richter ein objektives Urteil zu fällen, ohne Ansehen der Person. Ja, das Wort Gottes ist ein unbestechlicher Richter. Und selbst das, was andere Menschen nicht von mir nicht wissen. Vielleicht auch gar nicht wissen sollen. Ja - auch meine "dunkle Ecken" werden vom Wort Gottes mit zur Beweisaufnahme zitiert. Wenn ich vor Gott stehe, und er mir sagt, wie er mein Leben sieht - gemessen an seinen ewigen Maßstäben. Wenn mein Gewissen mir erschrocken sagt, dass ich so vor meinem Schöpfer nicht bestehen kann. Ja - wenn ich dann echten Frieden suche, Frieden mit Gott, und Frieden in meinem Gewissen. Dann gehört es dazu: dass ich mir dieses Urteil von Gottes Wort gefallen lasse. Keine Ausreden suche. Und ihm nicht ausweiche, wenn es mich schuldig spricht.
Und doch ist das noch längst nicht alles. Versuchen wir, es mit einer Geschichte zu verdeutlichen. "Klopf, klopf, klopf" - der Briefträger versucht verzweifelt, Zugang zu der alten, heruntergekommenen Wohnung zu finden. Das war schon das dritte Mal in dieser Woche! Endlich sieht er einen Lichtschein im halboffenen Fenster. Er stößt das Fenster etwas weiter auf und ruft hinein: "Post ist da! Ein Wertpaket für Sie!" Die alte Frau kommt zögernd aus der Haustür. "Warum haben Sie mir die ganze Woche nicht aufgemacht?", fragt der Briefträger. Die Frau sagt etwas verschämt: "Ich dachte, es wäre der Gerichtsvollzieher. Der sollte kommen, um die Miete einzutreiben." "Nein, nein",  entgegnet der Briefträger. "Das hier ist ein Wertpaket für Sie. Sie müssen mir Ihren Ausweis zeigen und unterschreiben, so wertvoll ist es." Die Frau nimmt das Paket mit hinein und öffnet es vorsichtig: Ein Gruß von ihrer entfernten Cousine, ein Umschlag mit einer hohen Geldsumme, und eine Garnitur wertvolles Tafelsilber. Ja, sie hatte es einmal vom Hörensagen mitbekommen. Ihre alte, kinderlose Cousine wollte sich gern schon vor ihrem Tod von ihrem Besitz trennen. Aber so etwas, das hatte die Frau wirklich nicht erwartet - ein wahrhaft unverhofftes Geschenk!
Manche glauben, wenn solche ernsten Worte wie hier stehen: Gottes Wort ist wie ein Richter. Dann ist das erst recht ein Grund, wegzuhören und die Herzenstür fest zu verschließen. Gott kommt doch nur, um "bei mir die Miete einzutreiben". Dabei weiß ich das schon längst - wie viele Mängel und Fehler ich habe, und wie viel ich Gott schuldig bin. Stellt Gottes Wort uns erst nackt und bloß vor Gott, und lässt uns dann in der Kälte stehen, "unbekleidet", wie wir sind?
Vergessen wir nicht, dass ein Richter sowohl ein hohes Strafmaß verkünden kann - als auch einen Freispruch! Wenige Verse nach unserem Predigttext heißt es (Hebräer 4:16): "Darum laßt uns hinzutreten mit Zuversicht zu dem Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden..." Die Tatsache, dass unser Herr Jesus Christus mit seinem Kreuzestod. dass er für jeden von uns gleichsam schon "die Miete bezahlt hat". Diese Tatsache ist Grund genug dafür. Grund genug dafür, dass Gottes Wort, dieser "Richter". dass es mir auch meinen ganz persönlichen Freispruch verkündigen kann. Das ist Grund genug dafür, dass dieses durchdringende Wort. Dass es hindurchdringt durch meinen Kleinglauben und meine Verzagtheit. Und mir sagt: Ja, du hast gesündigt in Gedanken, Worten und Werken. Und das Urteil Gottes lautet: Schuldig. Aber es gibt einen, der deine Schuld getragen hat. Jesus hat sie auf sich genommen, als er am Kreuz für dich starb. Und deshalb bist du freigesprochen. Wann glaubst du es endlich? Wenige Verse vor unserem Text heißt es (Hebräer 4:2): "Aber das Wort der Predigt half jenen nichts, weil sie nicht glaubten, als sie es hörten." Ja - glaube ich dem Wort Gottes, dass Gott nicht nur gekommen ist, um von mir "die Miete einzutreiben"? Dass das Wort Gottes mir nicht nur meine Fassade herunterreißt? Sondern dass es mich frei spricht? Weil Jesus für meine Sünden gestorben ist?

3.  Das Wort Gottes dringt durch - eine "zweischneidige" Sache

Ich möchte nun zu einer schwierigen, wahrhaft "zweischneidigen" Sache kommen, im Zusammenhang mit dem Wort Gottes. Schärfer als jedes zweischneidige Schwert wird das Wort Gottes genannt. Normalerweise waren die Schwerter damals auf einer Seite stumpf, und man konnte sie nur in einer Richtung führen. Ein zweischneidiges Schwert - das war etwas Besonderes, gefährlich und wirksam. Konnte man es doch zur Rechten ebenso wie zur Linken führen.
Ein zweischneidiges Schwert - ich glaube, das kann uns noch mehr über das Wort Gottes sagen. Noch mehr, als dass es eben besonders wirksam ist, wirksamer als alle anderen Worte. Ja - es kann es uns auf eine Spur bringen. Die uns noch mehr verstehen lässt, wie dieses Wort an uns wirkt, lebendig und kräftig - und zwar an jedem, der es hört. Ja, ich meine tatsächlich an jedem.
Das ist zunächst gar nicht so einsichtig.Wenn das Wort Gottes, dieses geistliche Schwert, gleichsam "zur Rechten" geführt wird. Diese Wirkung verstehe ich. Denn dann bewirkt es bei mir letztendlich - lebendigen Glauben. Es dringt durch. Es reißt mir zuerst meine Fassade herunter, zeigt mir, wie bloß und bedürftig ich bin vor Gott. Und dann spricht es mir zu: Sein Kreuz bedeckt deine Schuld. Du bist frei! Du darfst sein  Kind sein. Und echten Frieden finden mit Gott. So wünschen wir es uns vom Wort Gottes. So haben etliche von uns schon erfahren. Durch dieses Wort, das an ihrem Herzen gewirkt hat.
Aber was ist, wenn es ein Mensch hört. Und er öffnet nicht seine Herzenstür? Sondern er klappt seine Ohren zu. Versucht, mit seiner Fassade vor Gott Versteck zu spielen. Und wenn er hört: du bist freigesprochen. Dann geht es an diesem Menschen entweder vorbei und bedeutet nichts für ihn. Oder er sagt sich: Frei bin ich? Dann kann ich ja genauso leben, wie ich es schon immer getan habe - frei und ungebunden, ohne Gott, ganz so, wie ich will. War das Wort Gottes hier weder lebendig noch kräftig? Oder wird es erst dann lebendig und kräftig, wenn dieser Mensch schließlich zum Glauben findet?
Ich denke, nein. Es gibt eine geheimnisvolle Wirkung dieses "zweischneidigen Schwertes". Gleichsam eine "Wirkung der linken Schneide". Eine Wirkung, die nur schwer zu verstehen ist. Aber mit der wir andererseits - vielleicht - schon unsere Erfahrungen gemacht haben. Vielleicht kennt ihr ja Menschen. Die irgendwann - z.B. in ihrer Jugend - das Wort Gottes kennengelernt haben. Sie haben es gehört, vielleicht in der Sonntagsschule und im kirchlichen Unterricht. Und sind dann später ihre eigene Wege gegangen. Mit Kirche und Glauben - da darf ihnen keiner mehr kommen. Das ist einengend. Davon hat man sich befreit. Und überhaupt: Gemeinde, Pfarrer - daran gibt es immer etwas auszusetzen. Und du wunderst dich manchmal, wie viel versteckte Wut herauskommt. Wenn solche Menschen ehrlich reden. Es kommt viel mehr Wut heraus, als manch ein "gestandener Atheist" an Ärger in sich hat, über den christlichen Glauben und über die Kirche. Nach meiner Erfahrung ist es sogar so: Der Atheist hat häufig gar keine Wut in sich - im Gegenteil, ihm ist die Kirche schlichtweg egal, und er kommt in seinem Leben auch ohne Glauben ganz gut zurecht. Dem "Ex-Christen" dagegen, wenn ich ihn einmal grob vereinfachend so nenne. Ich meine einen, der das Wort Gottes gehört und abgelehnt hat. Dem kann der Gedanke an Kirche und Glauben die Zornesröte ins Gesicht treiben.
Ich habe es oft erlebt, wie Christen an dieser Stelle schnell ein schlechtes Gewissen bekommen: O weh - was haben wir als Kirche und Gemeinde nur falsch gemacht, um diesen Menschen so in Wut zu bringen? Sind nicht eigentlich wir schuld? Und der arme Wüterich ist nur ein Opfer alter kirchlicher Verletzungen, über die er nie hinweggekommen ist?
Je länger ich in der Gemeinde mitarbeite. Desto mehr bin ich der Überzeugung: Mit dieser Erklärung werden der Sache nicht gerecht - jedenfalls in den meisten Fällen nicht. Wir sollten stattdessen mehr an die geheimnisvolle "Wirkung des Wortes zur Linken" denken. Als der Prophet Jesaja von Gott in den Verkündigungsdienst gerufen wird, da bekommt er einen ganz merkwürdigen Auftrag (Jesaja 6:10): "Verstocke das Herz dieses Volks und laß ihre Ohren taub sein und ihre Augen blind, dass sie nicht sehen mit ihren Augen noch hören mit ihren Ohren noch verstehen mit ihrem Herzen und sich nicht bekehren und genesen." Was ist denn das für ein seltsamer Auftrag für einen Predigtdienst: Verstocke das Herz dieses Volkes? Hat Jesaja sich verhört? Doch unser Herr Jesus Christus selbst führt diese Stelle an, als er seinen Jüngern den Sinn seiner Gleichnisse erklärt (Matthäus 13:15).
Ja - das ist die geheimnisvolle Wirkung des zweischneidigen Schwertes, wenn es "zur Linken" geführt wird von Gott. Vielleicht kann man es sich so vorstellen: Dort, wo ein Mensch von diesem Wort getroffen wird. Und er versperrt seine Ohren und sein Herz. Und er kehrt nicht um und glaubt nicht. Da bleibt das Wort nicht wirkungslos. Da hinterlässt dieses geistliche "Schwert" eine Verletzung. Es ist eine innere Verletzung - eine Verletzung des Gewissens. Wie eine Wunde, die nicht heilt - solange dieser Mensch weiterhin das Wort Gottes ablehnt. Und jedes mal, wenn er das Wort wieder hört - dann ist es wie eine schmerzhafte Berührung dieser Wunde. Er mag wütend werden. Kein Wunder - weil er sich nicht gegen das lebendige und kräftige Wort wehren kann! Aber seine Wut - sie geht letztlich nicht gegen mich. Sie geht nicht gegen die Kirche. Sondern sie geht gegen das Wort Gottes. Weil es sein Gewissen anrührt. Aber je mehr er sich gegen das Wort Gottes sträubt - desto tiefer wird die innere Verletzung.
Besser, dieser Mensch hätte das Wort Gottes nie gehört, wenn es ihn nur verletzt - könnte man meinen. Ich meine: nein. Ist es es doch immer wieder eine neue Chance, dieses Wort anzunehmen - jedes Mal, wenn er es hört. Solange Gott noch Gnade dazu gibt. "Heute, wenn ihr seine Stimme hören werdet, so verstockt eure Herzen nicht." (Hebräer 4:7) So heißt es - ebenfalls wenige Verse vor unserem Predigttext. Jederzeit kann diese "Wirkung zur Linken". Kann sie für mich zur segensreichen "Wirkung zur Rechten" werden. Wenn ich mein Herz nicht verstocke. Wenn das Wort mir mit seiner "rechten Schneide" meine Fassade wegnimmt. Mich vor Gott stellt. Und mir dann den gekreuzigten Heiland vor Augen malt und mich freispricht. Mich so frei macht, dass ich vor Freude singen könnte. "Heute, wenn ihr seine Stimme hört." Nein - dann wir wollen unsere Herzen und Ohren nicht verschließen. Sondern das Wort durchdringen lassen. Damit es in uns echten Frieden und echte Freude bewirkt. Eine Freude, die so tief ist. Wie sie nur dieses lebendige Wort bewirken kann. Und deswegen, um zum Anfang zurückzukommen. Deswegen gibt es auch kein besseres Wort. Keine bessere Botschaft. Als dieses lebendige, kräftige, durchdringende Wort Gottes. Danken wir ihm dafür, dass wir es haben. Amen.

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