"Fürchte dich nicht" - Predigt über Jesaja 43,1-7

1 Und nun spricht der HERR, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! 2 Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, daß dich die Ströme nicht ersäufen sollen; und wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen. 3 Denn ich bin der HERR, dein Gott, der Heilige Israels, dein Heiland. Ich habe Ägypten für dich als Lösegeld gegeben, Kusch und Seba an deiner Statt, 4 weil du in meinen Augen so wert geachtet und auch herrlich bist und weil ich dich lieb habe. Ich gebe Menschen an deiner Statt und Völker für dein Leben. 5 So fürchte dich nun nicht, denn ich bin bei dir. Ich will vom Osten deine Kinder bringen und dich vom Westen her sammeln, 6 ich will sagen zum Norden: Gib her! und zum Süden: Halte nicht zurück! Bring her meine Söhne von ferne und meine Töchter vom Ende der Erde, 7 alle, die mit meinem Namen genannt sind, die ich zu meiner Ehre geschaffen und zubereitet und gemacht habe.

Liebe Gemeinde,
"fürchte dich nicht" - durch die ganze Bibel zieht sich diese Aufforderung. Wir finden sie im ersten Buch der Bibel (1. Mose 15:1 ), und im letzten Buch der Bibel (Offenbarung 2:10). 66 Mal kommt dieser Satz in der Lutherbibel (Luther 84) vor - genau in diesem Wortlaut. Die Verse, die dasselbe mit anderen Worten sagen - die sind dabei noch gar nicht mitgezählt. 
Ja, es gibt wahrlich viele Gelegenheiten, bei denen ein Christ sich fürchtet, verzagt wird. Und es gibt viele Gründe, warum Gott zu Recht sagt: Fürchte dich nicht.

1.  Fürchte dich nicht, denn ich habe aller Not eine Grenze gesetzt

Jeder, der etwas länger Christ ist, der weiß: Schwierigkeiten und Anfechtungen gehören dazu. Ein Christenleben in ständigem Sonnenschein. Ein Christ, der von einem geistlichen Sieg zum nächsten eilt. Das gibt es höchstens in christlichen Romanen, aber nicht im wirklichen Leben. Wir können dankbar sein, dass wir nicht die schrecklichen Erlebnisse in der ägyptischen Sklaverei oder in der babylonischen Gefangenschaft durchmachen mussten. Denn das hat Jesaja ursprünglich hier gemeint, als er zu seinem Volk Israel redet.
Nein - auch dann, wenn wir nicht gerade in Kriegs- und Unterdrückungszeiten leben, kann ein Christ so manches durchmachen - ich denke, Beispiele dafür kennen wir genug. In der Tat - da kann man ins Fürchten kommen. Vor allem dann, wenn ein Ende der Not nicht absehbar ist. "...dass die Ströme dich nicht ersäufen können." Ereignisse und Probleme können sich auf einmal zusammenballen. Dass ich darin schier untergehen zu scheine.
Verschiedene Fragen drängen sich einem Christenmenschen dabei auf. Etwa: Wie lange wird das noch so gehen? Warum lässt Gott das zu? Und schließlich: Werde ich das aushalten? In der Tat gibt es darauf keine schnelle, einfache Antwort. Allerdings - als Gott hier sein "Fürchte dich nicht" ausspricht. Da gibt er eine gute Begründung dafür. Gott setzt nämlich allen Nöten eines Gotteskindes eine genau bestimmte Grenze: Dir kann zwar das Wasser bis zum Hals stehen - aber es wird dir nicht über dem Kopf zusammenschlagen, und du wirst nicht ertrinken. "...dass dich die Ströme nicht ersäufen sollen." Du kannst zwar die Flammen aus nächster Nähe sehen, die Hitze spüren, und den Brandgeruch riechen. Aber "...wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen und die Flamme soll dich nicht versengen."
Der Apostel Paulus, der in seinem Leben mancherlei Schwierigkeiten durchgemacht hat, und der nicht selten in Lebensgefahr war. Der hat das einmal so ausgedrückt: "Aber Gott ist treu, der euch nicht versuchen läßt über eure Kraft, sondern macht, dass die Versuchung so ein Ende nimmt, dass ihr's ertragen könnt." (1. Korinther 10:13) Man könnte also mit einem alten Bild sagen: Gott gibt keinem Christen ein größeres Päckchen, als dieser Christ tragen kann. Zugegeben: Gottes Maßstäbe, nach denen er diese "Päckchen" schnürt und mit Gewicht versieht. Die sind mir oft genug ein Rätsel. Allerdings, auf eines kann ich mich hundertprozentig verlassen: Nicht über euer Vermögen. Und dazu kommt noch: Nicht nur das Gewicht des Päckchens wird begrenzt. Sondern auch die Dauer, die ich es tragen muss. "...dass die Versuchung so ein Ende nimmt..." Sie ist nicht endlos - auch wenn sie mir oft genug endlos erscheint, die Anfechtung. Aber auch hier gibt es von Gott her eine genau bemessene Grenze, und er verliert darüber niemals die Kontrolle. Die Anfechtung wird ein Ende nehmen, das ist sicher.
Also: Egal in welche Not du gerätst. Gott verliert nie die Kontrolle. Und Gott setzt eine genau bemessene Grenze - "...dass dich die Ströme nicht ersäufen sollen .... und die Flamme soll dich nicht versengen." Ob das ein guter erster Grund ist? Dass Gott dir sagt: Fürchte dich nicht, mein Kind?

2.  Fürchte dich nicht, denn ich habe mein Bestes für dich gegeben

Um diesen Teil zu verstehen, brauchen wir etwa "Anlauf". "Ich habe Ägypten für dich als Lösegeld gegeben ... Ich gebe Menschen an deiner Statt und Völker für dein Leben." Was meint Jesaja damit? Ein kurzer Ausflug in die "israelische Außenpolitik" von damals bringt Klarheit. Es war noch vor der babylonischen Gefangenschaft. Das Heer des assyrischen Königs Sanherib steht vor den Toren Jerusalems, und es sieht so aus, als wäre alles verloren. (Jesaja 37) Wie sollte da noch Hilfe kommen? Auf einmal, durch politische Verwicklungen, gerät Sanherib in Kämpfe mit anderen Völkern. Er zieht ab - er hat jetzt Wichtigeres zu tun, als die Hauptstadt eines so kleinen Volkes zu erobern. Jerusalem kommt noch einmal davon. Ein Zufall der Weltgeschichte? Politisches Glück? Die Botschaft Gottes ist eine ganz andere: Du bist mein auserwähltes Volk. Du warst mir wichtiger, wertvoller als alle anderen Völker. Deshalb habe ich es so geführt. Und die anderen Völker kamen ins Visier von Sanherib - anstelle von dir. "Ich gebe Menschen an deiner Statt und Völker für dein Leben."
Was sich im politischen Bereich schlecht auf heute übertragen lässt. Denn wir leben nicht im Volk Israel zu alttestamentlichen Zeiten. Das kann uns allerdings ein direkter Hinweis auf unseren Herrn Jesus Christus werden. Hier ist es an der Zeit, über das Gleichnis vom Kaufmann und der wertvollen Perle nachzudenken - ein Gleichnis, das außerordentlich oft missverstanden wird. (Matthäus 13,45-46) Da ist ein "völlig verrückter" Geschäftsmann, der sein ganzes Kapital einsetzt, nur um eine einzige besondere Perle zu erwerben - nach der er vielleicht schon jahrelang geforscht hatte. Man könnte dieses Gleichnis leicht so verstehen: Christsein. Das bedeutet, dass ich für Jesus auch mein "letztes Hemd" hingeben will, dass ich mich ihm ganz und gar weihe und mich ihm verschenke.
Ich frage mich nur, ob man dabei nicht "Kaufmann" und "Ware" verwechselt. Wenn man einmal von unserem Predigttext und anderen ähnlichen Stellen aus denkt. Dann ist es genau umgekehrt: Die Christen, das Volk Gottes. Die sind für Christus so wertvoll, dass der für sie das Beste überhaupt, den höchsten Kaufpreis hergibt: sein eigenes Leben. Das Blut, das er auf Golgatha vergossen hat. "Erlöst" hat er damals Israel aus der ägyptischen Sklaverei. Und die Hebräer hörten in ihrer Sprache bei dem Wort "erlöst" mit: "losgekauft" hat er uns vom Pharao, und loskaufen wird er uns aus der babylonischen Gefangenschaft. "...weil du in meinen Augen so wert geachtet und auch herrlich bist und weil ich dich lieb habe."
Im Neuen Testament hören wir über Gottes Liebe: "Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben." (Johannes 3:16) Er gab seinen Sohn. Ein unermesslich hoher Kaufpreis! So bedeutsam sind wir in den Augen Gottes, dass wir ihm seinen eigenen Sohn wert waren. Und so kann Gott sagen: Fürchte dich nicht. Denn ich habe für dich nicht nur das Beste - sondern ich habe den Besten gegeben. Ich gebe Menschen an deiner Statt. Ich gebe den Menschen an deiner Statt - meinen eigenen Sohn. Ob das ein weiterer guter Grund ist., dass ich ihm das glaube: Fürchte dich nicht?

3.  Fürchte dich nicht, denn alles hängt an Gottes freier Gnade

Wenn man genau hingeschaut hat, dann sieht man: Diese wunderbaren Verheißungen gelten nicht für alle Menschen gleichermaßen. Jesaja redet hier von Israel. Genauer gesagt, von einem Teil Israels, nämlich  von den Gotteskindern unter ihnen, den Gläubigen: "Bring her meine Söhne von ferne und meine Töchter vom Ende der Erde." An anderer Stelle sagt er es noch deutlicher: "Und der Herr wird zu der Zeit zum zweiten Mal seine Hand ausstrecken, dass er den Rest seines Volks loskaufe, der übriggeblieben ist in Assur, Ägypten, Patros, Kusch, Elam, Schinar, Hamat und auf den Inseln des Meeres." (Jesaja 11:11)
Nicht nur hier, auch sonst immer wieder, ist im Alten Testament immer von einem "heiligen Rest" die Rede. Einer besonderen Schar, die Gott aus dem Volk Israel ausgewählt hat. Es sind diejenigen, die nicht nur äußerlich zum Volk Gottes gehören. Heute würde man sagen: Es sind nicht diejenigen, die lediglich Taufschein und Kirchenmitgliedschaft besitzen. Sondern es sind diejenigen, die nach Gottes Wort leben. Die ihm vertrauen. Die von neuem geboren sind aus dem Heiligen Geist. Die Jesus gehören. "Denn in ihm hat er uns erwählt, ehe der Welt Grund gelegt war, dass wir, heilig und untadelig vor ihm sein sollten; in seiner Liebe hat er uns dazu vorherbestimmt, seine Kinder zu sein durch Jesus Christus nach dem Wohlgefallen seines Willens." (Epheser 1,4-5) So drückt das der Apostel Paulus aus. Eine besondere Schar Menschen ist es: Seine Kinder, Gottes Söhne und Töchter - für die gilt dieses "Fürchte dich nicht". Genau für die.
Nun könnte man fragen: Womit bin ich denn "qualifiziert", damit ich mir diesen Schuh anziehen kann. Damit ich das als ganz persönlichen Zuspruch nehme: "Fürchte dich nicht" - ? Wie komme ich dazu, zu Gottes Söhnen und Töchtern zu gehören? Zu dieser besonderen Schar Menschen? Von Zeit zu Zeit ereignet sich eine wunderbare Geschichte: manchmal im Film, manchmal im Roman - manchmal sogar im richtigen Leben. Da ist ein gutaussehender reicher Mann auf Brautschau. Er lernt eine Frau kennen, es ist die berühmte "Liebe auf den ersten Blick". Die beiden verloben sich. Doch alle aus der Familie des reichen Mannes wollen ihn von der Hochzeit abbringen: Die junge Frau sei nicht "standesgemäß", sie stammt aus einer armen Familie mit schlechtem Ruf. Doch der Mann lässt sich nicht abbringen. Selbst gutgemeinte Hinweise wie "Auch andere Mütter haben schöne Töchter" helfen nichts. Er will die eine, die er liebt - und die heiratet er dann auch. Es ist eben "wie im Märchen".
"...weil du in meinen Augen so wert geachtet und auch herrlich bist und weil ich dich lieb habe." Das gibt Gott hier als Begründung für die, die seine Kinder sind. Es ist tatsächlich "wie im Märchen" - nur noch besser. Der heilige Gott sucht sich Sünder aus - ausgerechnet Sünder, wirklich ganz und gar nicht "standesgemäß" für ihn. Und macht die Sünder zu seinen Kindern, "...weil ich dich lieb habe." Gott begründet es nicht, wen er wann, wie und warum zu seinem Kind macht. Außer mit dieser einer Begründung: Sünder, du bist in meinen Augen wertgeachtet. Ich habe meinen Sohn für dich gegeben, an deiner Statt. Weil ich dich geliebt habe. Das muss dir als Grund genügen.
Ich finde, das ist ein sehr wichtiger Grund für einen Christen, sich nicht zu fürchten. Manche   fürchten zwar weder "Tod noch Teufel", wie die Redensart sagt. Sie stehen fest im Glauben. Aber sie fürchten sich vor sich selbst: Was ist, wenn mein Christsein eines Tages schwach und lauwarm wird? Was ist, wenn mein Eifer? Der Eifer der ersten Liebe zu Jesus erlahmt? Wenn dann auf einmal die Zweifel kommen? Wird Jesus mich dann fallenlassen, wie die "heiße Kartoffel"? Und sich anderen zuwenden, die es wert sind? Die sich ihm wahrhaft und von ganzem Herzen hingeben? Dann ist es gut, wenn du dich als Christ daran erinnerst: Nach deinen eigenen, menschlichen Maßstäben. Da warst du noch nie wirklich "qualifiziert", fromm genug und wertvoll. Noch nie so heilig, dass Jesus dich unwiderstehlich finden musste. Es war von Anfang an sein freier Entschluss: "...weil du in meinen Augen so wert geachtet ... bist."
Merkst du es, Christenmensch? Es ist völlig sinnlos, wenn du dich vor dir selbst fürchtest. Und fürchtest, du könntest die "Qualifikation" für deine Gotteskindschaft verlieren. Nein, beruhige dich: Diese Qualifikation hattest du sowieso noch nie, bis heute nicht. Wenn du an Jesus glaubst, dann hast du dir das nicht verdient. Aber Gott wollte dich haben. Genau dich. Warum? "...weil ich dich lieb habe." Gott hat für sich selbst einen Grund gefunden: Weil du in meinen Augen herrlich bist. Und das genügt. Es genügt ihm dafür, dass er zu dir steht. Und dich hält. Von nun an bis in Ewigkeit. Das ist seine freie Gnade. Es ist tatsächlich "fast wie im Märchen". Nur noch viel besser.
Ob das einige gute Gründe sind, damit sich Christen sich nicht fürchten müssen? Er hat aller Not eine Grenze gesetzt? Er hat nicht nur das Beste, sondern den Besten für dich gegeben? Seinen eigenen Sohn? Und er hat es allein aus seiner freien Gnade getan? Wenn es dir nicht genug Gründe sind. Dann schlage eine Bibelkonkordanz auf, oder suche im Internet. Und schaue die anderen 65 Stellen nach - überall, wo sonst  noch "Fürchte dich nicht" steht. Für heute wollen wir uns mit diesem Vers begnügen: "Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!" Amen.

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