"... und redeten das Wort Gottes in Freimut", oder: Das Gebet
für die Gemeinde
Predigt über Apostelgeschichte 4,23-31
23 Und als man sie hatte gehen
lassen, kamen sie zu den Ihren und berichteten, was die Hohenpriester
und Ältesten zu ihnen gesagt hatten.
24 Als sie das hörten, erhoben
sie ihre Stimme einmütig zu Gott und sprachen: Herr, du hast
Himmel und Erde und das Meer und alles, was darin ist, gemacht, 25 du
hast durch den heiligen Geist, durch den Mund unseres Vaters David,
deines Knechtes, gesagt: »Warum toben die Heiden, und die
Völker nehmen sich vor, was umsonst ist? 26 Die Könige der
Erde treten zusammen, und die Fürsten versammeln sich wider den
Herrn und seinen Christus.« 27 Wahrhaftig, sie haben sich
versammelt in dieser Stadt gegen deinen heiligen Knecht Jesus, den du
gesalbt hast, Herodes und Pontius Pilatus mit den Heiden und den
Stämmen Israels, 28 zu tun, was deine Hand und dein
Ratschluß zuvor bestimmt hatten, dass es geschehen solle. 29 Und
nun, Herr, sieh an ihr Drohen und gib deinen Knechten, mit allem
Freimut zu reden dein Wort; 30 strecke deine Hand aus, dass Heilungen
und Zeichen und Wunder geschehen durch den Namen deines heiligen
Knechtes Jesus.
31 Und als sie gebetet hatten,
erbebte die Stätte, wo sie versammelt waren; und sie wurden alle
vom heiligen Geist erfüllt und redeten das Wort Gottes mit
Freimut.
Liebe Geschwister,
das Gebet ist die Triebkraft jeder Gemeindearbeit. Das Gebet ist das,
was uns "vorwärtsbringt" in unserer Kirche.
1. Das Gebet aus Sorge um die Gemeinde
Es ist ja schon eine echte Not, in der sich die erste Gemeinde der
Christenheit hier befindet: Nach Pfingsten, nach diesem großen
Aufbruch mit dreitausend Neubekehrten nun das - Predigtverbot! Der Hohe
Rat, die oberste Behörde für Religionsangelegenheiten in
Jerusalem hatte Predigtverbot erteilt. Der neue Glauben sollte nicht
noch mehr einreißen im Volk. Warum hatte man ihn sonst
gekreuzigt? Ihn, Jesus - diesen Unruhestifter? Schließlich wollte
man ihn loswerden, und keiner neuen Glaubensrichtung zur Gründung
verhelfen.
Predigtverbot - und die Gemeinde ist in Not. Eigentlich haben wir es
doch gut - so möchte man denken. Unser Bürgermeister in
Eibenstock ist sogar selbst in der Kirche - der wird keine Predigt
verbieten. Und auch sonst haben wir als Christen, als Kirche - noch -
eine Freiheit, von der vor 20 Jahren manche nur träumen konnten.
Haben wir also keinen Grund zur Sorge? Brauchen wir dieses Gebet nicht?
Wenn wir unseren Bezirk anschauen: So mancher macht sich Gedanken
über den Gottesdienstbesuch. Über die vielen, die nicht mehr
kommen. Um die Jugend. Um die Dienstbereitschaft. Und auf unserer
Jährlichen Konferenz haben wir - natürlich - auch wieder
einmal über die Finanznot unserer Kirche gesprochen, und wie unser
Schatzmeister Monat für Monat, gleichsam "von der Hand in den
Mund" lebt. Und wie er schon manches Mal gebangt hat, wie er wohl die
Gehälter der Hauptamtlichen bezahlen kann.
Wären wir im Geschäftsleben, dann würde der Chef
vielleicht eine Betriebsversammlung abhalten und sagen: Leute, es ist
ernst. Die Firma ist in Gefahr. Was tun wir? Die jung-dynamischen
schlagen vor: Klar, jetzt müssen wir die Ärmel hochkrempeln
und alle Mann ran. Einige Bedächtige schlagen dagegen vor: am
besten wir bilden einen Krisenausschuss und beraten. Wäre das
nicht auch etwas für uns? Schließlich sagen mittlerweile
auch manche bedeutenden Kirchenleute: Wir müssen von der
Wirtschaft lernen.
Schon die Urgemeinde in Jerusalem weiß: Die Kirche ist keine
Firma. Vor allem ist sie nicht "unsere" Firma. Deshalb ist das Erste in
der Not weder eine Aktion nach dem Motto "jung, dynamisch,
erfolgreich", noch ein Ausschuss mit klugen Ideen. Sondern das Erste
ist ein Blickwechsel: Weg von mir und meiner Lage. Weg von meinen
begrenzten Möglichkeiten. Hin zu unserem Herrn. Hin zu seiner
Macht.
Das Erste ist - ein Gebet. Hören wir das Gebet jener ersten
Gemeinde: "Herr, du hast Himmel und Erde und das Meer und alles, was
darin ist, gemacht." Du hast das ganze Weltall erschaffen. Was sollte
dir da noch unmöglich sein? Deine Macht hat keine Grenzen. Was du
willst, das geschieht. Wenn du ein Machtwort sprichst, dann steht das
Ergebnis schon da. Dir können wir alle Not sagen - du kannst sie
wenden: "Und nun Herr, sieh an ihr Drohen." So betet die Urgemeinde,
als das Predigtverbot da ist. Ja, so könnten wir beten: Und nun
Herr - sieh an unser immer kleineres Häuflein. Sieh an unsere
Gottesdienste. Sieh an unsere Jugend. Usw. usw.
Man hat den Eindruck, dass alle größeren geistlichen
Aufbrüche immer von einem ganz besonders begleitet waren: Vom
Gebet. Man sagt: John Wesley soll wohl zwei Stunden gebetet haben, am
Tag. Das muß man sich einmal klarmachen - zwei Stunden! Damals,
als Tausende von Bergarbeitern zum Glauben kamen - von denen niemand
gedacht hätte, dass man sie jemals in der Kirche sehen würde.
Gebetet und gepredigt - und Gott handelte mit seiner Macht. Und
dann. Als Gott gehandelt hatte. Als er auf das Gebet geantwortet hatte.
Erst kamen die ganzen Überlegungen: Was machen wir mit den
Neubekehrten? Und es kam die Idee mit den Klassen usw. Erst kam das
Gebet - und dann das "Ärmel-Hochkrempeln", die Aktionen, die
Planungen. Ach, warum beten wir nur so wenig? Zu seiner großen
Macht? Zur Macht unseres Herrn? Machen wir uns dabei nicht viel zu
schnell müde und mutlos? Weil wir viel zu sehr fragen: Was
können wir tun? Statt zu fragen: Herr, was kannst du tun? Herr, du
hast Himmel und Erde und alles gemacht...
2. Das Gebet, dass unser Herr seine Macht zeigt: "Strecke deine
Hand aus"
Eine wohlmeinende ältere Schwester betete bei Gebetsgemeinschaften
immer: "Herr, lass dein Haus wieder voll werden." Sie wünschte
sich vermutlich, dass unser Kirchsaal wieder so voll wird wie in
Nachkriegszeiten, als die Bänke nicht reichten und es abends noch
eine Extraversammlung gab.
Ist das die Lösung, angesichts der Sorgen um unsere Gemeinden?
Nicht: die Ärmel hochkrempeln und Aktionen starten. Sondern: die
Ärmel hochkrempeln und große Gebetsversammlungen
organisieren. Auf denen wir mit aller Kraft beten: "Herr, lass dein
Haus wieder voll werden" ? Wer jetzt denkt, ich werde uns auffordern:
Lasst uns große Versammlungen abhalten und um Erweckung
beten. Lasst uns beten um das Wachstum unserer Gemeinden. Dass viele
dazu kommen. Dass endlich "Leben in die Bude" kommt. Den muß ich
leider enttäuschen.
Schauen wir noch einmal in die Apostelgeschichte: An einigen Orten gab
es tatsächlich große Aufbrüche. Gemeinden entstanden
und wuchsen. An anderen Orten dagegen verprügelte man die Apostel
und jagte sie aus der Stadt - von wegen große "Erweckung". In
Jerusalem hatte die erste Gemeinde der Christen zuerst ein
phänomenales Wachstum - denken wir an die Pfingstpredigt des
Petrus. Kurze Zeit später predigte der Diakon Stephanus und wurde
gesteinigt - der erste Blutzeuge der christlichen Kirche. Die Gemeinde
zerstreute sich danach in die verschiedensten Richtungen - aus war es
mit dem "vollen Haus".
Beten, dass das Haus voll wird? Unser Bibeltext hat mich eines Besseren
belehrt. Was beten sie hier eigentlich? Und wie antwortet Gott?
Zuerst rühmen und loben sie die Macht Gottes: "Herr, du hast
Himmel und Erde und das Meer und alles, was darinnen ist, gemacht..."
Dann reden sie zu Gott darüber, wie sich die Menschen in ihrer
Stadt und anderswo gegen den Herrn Jesus Christus zusammentun: "Die
Könige der Erde treten zusammen, und die Fürsten versammeln
sich wider den Herrn und seinen Christus." Und angesichts von beidem -
der Macht Gottes, und dem Widerstand der Menschen. Da bitten sie: "Und
nun Herr, sieh an ihr Drohen ... strecke deine Hand aus." Mich erinnert
das sehr an einen Choralvers, der ebenfalls zu einer Zeit gedichtet
wurde. Als es großen Widerstand gegen das Evangelium gab: "Beweis
dein Macht Herr Jesu Christ, der du Herr aller Herren bist, beschirm
dein arme Christenheit, dass sie dich lob in Ewigkeit." (Gesangbuch der
EmK 418,3) So dichtete Martin Luther, als die Reformation zunehmend
unter den Druck ihrer Gegner geriet.
Ja, lasst uns am besten das beten: Herr, strecke deine Hand aus. Beweis
dein Macht, Herr Jesu Christ. Wie der Herr seine Hand ausstreckt. Ob
dadurch, dass er unseren kleiner werdenden Gemeinden einfach die
Freiheit erhält, die Botschaft weiterzusagen. Ob er uns weiter
fernhält von Repressalien aller Art. Oder ob er uns gar einen
großen geistlichen Aufbruch, eine Erweckung schenkt - bei
der vielleicht sogar wieder "das Haus voll" wird. Das wollen wir
getrost ihm überlassen. Hauptsache, er kommt dabei groß
heraus. Hauptsache, seine Hand wird ausgestreckt. Herr, du hast doch
Himmel und Erde gemacht - was sollte dir unmöglich sein?
3. Das Gebet um Freimut für Gottes Wort
"Gib deinen Knechten, mit allem Freimut zu reden dein Wort. "Freimut",
ein altes Wort - was bedeutet das? Freimut - das heißt hier
zunächst einmal, dass man ganz offen redet. Unverkürzt. Nicht
um den heißen Brei herum.
Die meisten von uns kennen sicher "McDonalds" - das Markenzeichen
für Schnellimbiß. Ich will nun nichts zu diesen Hamburgern
sagen - das ist sicher auch Geschmacksache... Jedenfalls: Diese
Imbißläden haben sich optimal auf die Kundenwünsche
eingestellt: Schnell, einfach, keine "hohe Kochkunst", und - bis vor
einigen Jahren noch - einigermaßen billig. Mittlerweile gibt es
eine ganze Reihe von Nachahmern, die das Ganze noch schneller und noch
billiger anbieten wollen.
Vor einiger Zeit sagte ein Verkündiger das bemerkenswerte Wort:
Ich habe Bedenken, dass wir ein "Mc-Christentum" verbreiten.
"Mc-Christentum" - ein Christsein "zum Reinziehen", wie man es auf
Neudeutsch sagen würde. Angepaßt an die religiösen
Wünsche des Menschen von heute, schnell zu begreifen,
leichtverdaulich, und ohne hohe Kosten. Was Anstoß erregen
könnte, lasse ich weg.
Ja - wer traut sich heute noch, einem Menschen zu sagen. In aller
Liebe, aber auch in aller Ernsthaftigkeit: "Wenn du so weiter an Gott
vorbei lebst, dann kommst du in die Hölle. Aber Jesus hat sich ans
Kreuz nageln lassen, damit du vor der Hölle gerettet wirst." Wer
traut sich noch, klar zu sagen: "Es kommt nicht darauf an, dass ich
anständig lebe und mich engagiere (vielleicht sogar in der
Kirche). Sondern es kommt darauf an, dass ich mich zu Jesus bekehre und
an ihn glaube? Dass ich von ihm neues Leben empfange?" Wer traut noch
zu sagen: "Christsein ist nicht zuerst Lebenshilfe zum
Glücklichsein? Sondern es geht um den Dienst für den Herrn.
Und manchmal auch darum, in seinem Namen Nachteile oder sogar
Verfolgung in Kauf zu nehmen?" Dabei ist diese Art von Ernsthaftigkeit
wahrlich nichts Neues. Ich denke vielmehr: Genau das war die Botschaft
der ersten Zeugen, in der Zeit von Pfingsten und danach. Vielleicht
nicht immer in diesen Worten. Aber dem Sinn nach. Und das war auch die
Botschaft aller echten Erweckungen. Keine weichen, klebrigen Hamburger.
Sondern sozusagen nahrhaftes Schwarzbrot. Kein "Mc-Christentum".
Sondern ein unverkürzter Ruf in die Nachfolge.
Das Problem ist nur, dass wir alle so schwach und voller Bedenken sind.
Da bin ich vielleicht sogar der Ansicht: Im Prinzip sollten wir schon
die ungeschminkte Wahrheit verkündigen. Nur: wenn ich das
tatsächlich versuche - wer hört mir dabei noch zu? Wird man
mich nicht für einen Fanatiker halten? Treiben wir mit solchen
Worten die Menschen nicht aus der Kirche hinaus? Usw.
Manche dieser Bedenken kommen aus einem Mißverständnis. Gab
es doch immer wieder Christen, die dachten: freimütig sein, das
bedeutet: jeder von uns wird eine Art Profi-Straßenevangelist.
Der freimütig seinen Nachbarn im Bus beiseite nimmt. Ihm die
unverkürzte Botschaft sagt und ihn schnurstracks zum Herrn
führt. Ich will das nicht lächerlich machen - es gibt
Christen, die hat Gott genau dazu berufen. Aber eben nicht alle: einige
sind Evangelisten, einige Lehrer, einige Propheten usw - so schreibt
schon Paulus (1. Korinther 12). Ein Leib, viele Glieder. Ein Geist,
viele Gaben. Aber nicht alle haben die Gabe der
Straßenevangelisation.
Trotzdem: ich denke, jeder von uns sollte die unverkürzte
Botschaft weitersagen können - auf Nachfrage. Jeder Christ sollte
in der Lage sein, seinen Glauben zu erklären - ungeschminkt und
ohne falsche Ängste davor, was denn dann wohl "die Leute denken".
Seid bereit, Rechenschaft abzulegen über eure Hoffnung. So
drückt Petrus das aus (1. Petrus 3:15). Bereit: in der Familie, in
der Schule, unter Kollegen. Seid bereit, wenn man euch fragt.
Nur - jeder, der dazu bereit ist und sich das von Herzen wünscht,
der weiß auch: es ist oft leichter gesagt als getan. Die
Urgemeinde in Jerusalem hatte vielleicht Angst, dass man sie dafür
ins Gefängnis sperren würde. Predigtverbot! Aber auch die
Angst, Menschen vor den Kopf zu stoßen. Auch die kann mir den
Mund verschließen - oder mich ein "Mc-Christentum" weitersagen
lassen. Dagegen hilft keine tapfere Entschlußkraft. Keine
Mutproben. Und keine Schulungen. Das einzige, das wirklich weiterhilft,
ist das Gebet. "Gib deinen Knechten, mit allem Freimut zu reden dein
Wort." - "Und sie wurden alle vom heiligen Geist erfüllt..."
Das kann unser Herr tatsächlich schenken: Daß wir nicht das
reden, was die Menschen von uns erwarten - unserer Meinung nach
erwarten. Sondern das reden, was der Herr ausrichten läßt.
Unverkürzt. Das macht nicht unser Mut. Unser Entschluß.
Sondern das macht der Heilige Geist. Wir fragen uns oft, welche Gebete
Gott erhören wird. Dieses erhört er garantiert. Daran hat
sich seit den Zeiten der Apostelgeschichte nichts geändert. "Gib
deinen Knechten, mit allem Freimut zu reden dein Wort..."
Ich bin übrigens überzeugt: es gibt in unserer Zeit viele
Menschen, die warten nur darauf. Die warten darauf, dass in ihnen
in dieser verwirrenden Zeit endlich einmal einer ein klares Wort sagt.
Sie warten darauf, dass die Christen nicht ihr Fähnlein nach dem
Wind hängen, sondern Klartext reden. Ich bin überzeugt: Es
gibt eine Menge Suchende, die auf ihrer langen Suche allzu viel
Unklares und Unverbindliches gehört haben. Und sie haben das
gründlich satt. Sie wollen endlich wissen, was Sache ist.
Es ist wahr: Nicht jedes offene, freimütige Wort kommt an.
Manchmal ernten wir höchstens betretenes Schweigen. Oder sogar
energischen Widerstand. Und ich kann dann nur sagen: Entschuldige -
aber du hast mich schließlich gefragt, was ich glaube, und ich
wollte dir offen und ehrlich antworten. Aber manchmal schenkt unser
Herr es. Und dann geschieht etwas. Und geschieht ein echter geistlicher
Fortschritt - durch ein Wort Gottes in Freimut. Laßt uns darum
beten. Daß er uns Gelegenheiten schenkt. Sein Wort weiterzusagen.
Offen und unverkürzt. Nicht das, was man von uns erwartet. Sondern
das, was der Herr weitergeben möchte: Kein "Mc-Christentum".
Sondern die ganze Botschaft. Ohne Abstriche. Ohne auf das "Publikum" zu
achten. Damit er bekannt wird und "groß herauskommt". "Gib deinen
Knechten, mit allem Freimut zu reden dein Wort." Strecke deine Hand
aus. Erweis dein Macht, Herr Jesu Christ. Amen.
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