Jesus lehrt beten - Das Vaterunser, 1. Teil (Matthäus 6,9-10)

Liebe Gemeinde,
das Vaterunser ist bis heute das Gebet der christlichen Kirche. Viele kennen es - selbst solche Menschen, die sonst nie in die Kirche kommen. Es ist eben so eine Art "Markenzeichen" der Christen. Grund genug, es sich einmal genauer anzuschauen - denn so war das von Jesus gemeint, als er zu seinen Jüngern sagte: Darum sollt ihr so beten. Wir sollen es nicht nur nachsprechen - das auch. Aber wir sollen es insbesondere als eine Art Muster, ein Beispiel, eine Grundidee nehmen. Für unser ganzes Gebetsleben. Für unsere Beziehung zu Gott.
Weil es von Jesus so grundsätzlich, so konzentriert gemeint war. Möchte ich das Ganze in zwei Predigten aufteilen und heute nur die ersten beiden Verse betrachten:
"Darum sollt ihr so beten: Unser Vater im Himmel! Dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden."

1. Unser Vater im Himmel

Es ist schon einige Jahre her, da wurde von einer ehemaligen Muslimin ein Buch geschrieben. Sie war eine Frau aus Pakistan, die Christin geworden war. Das Buch hat den Titel "Allah - mein Vater?" Es war für sie erstaunlich, überwältigend, kaum zu fassen. Dass man Gott tatsächlich wie einen guten Vater erfahren kann - nicht wie einen fernen, allmächtigen Herrscher im Himmel. Gibt es so etwas - Gott, mein Vater? Zu dem ich eine ganz enge, persönliche Beziehung haben kann?
Es ist etwas Einmaliges am christlichen Glauben. Dass wir durch Jesus Christus, durch sein Opfer am Kreuz, tatsächlich zu Gott "Vater" sagen können. Selbst das alte Volk Gottes, das Volk Israel kannte das so nicht. Wenn wir im Alten Testament schauen, dann wird Gott praktisch nie mit einem Vater verglichen, oder so angeredet. Das ist etwas, das uns erst Jesus Christus gebracht hat.
Deshalb will Jesus uns nahelegen: Das erste und wichtigste beim Beten ist diese Grundhaltung. Diese Haltung des Vertrauens, dass ich weiß, beim Beten: Wenn ich jetzt durch meinen Herrn Jesus Christus zu Gott komme. Dann komme ich nicht zu irgendwem, der unfassbar weit weg ist. Sondern dann komme ich zu meinem Vater im Himmel. Er ist mir so nah, und er meint es so gut mit mir wie ein guter menschlicher Vater. Und er ist mehr als das: Denn wir menschlichen Väter haben alle unsere Begrenzungen, unsere Schwächen, unsere Fehler. Aber mein Vater im Himmel: Der hat keine Grenzen, sondern er ist der Herr des Universums. Nichts gerät ihm "außer Kontrolle". Er hat keine Fehler - sondern er ist der einzige Vater, der wirklich vollkommen gut ist. Wie schon Jesus selbst sagte (Markus 10,18): "Niemand ist gut als Gott allein."
So sagt es uns auch der Apostel Paulus, als er über unsere Beziehung zu Gott redet, und über das Gebet. Er sagt: Das ist das Werk des Heiligen Geistes in unseren Herzen, dieses unbegrenzte Vertrauen zu Gott. "Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, daß ihr euch abermals fürchten müßtet; sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch den wir rufen: Abba, lieber Vater!" (Römer 8,15) Das erste und Wichtigste beim Beten ist, dass ich weiß: Ich bin ein Kind Gottes. Jesus Christus hat mich zu einem Kind Gottes gemacht hat, dadurch dass er sein Blut für mich vergossen hat. Und so weiß ich: Jetzt komme ich zu meinem lieben Vater. "Vater unser im Himmel."

2. "Fürbitte für Gott": Geheiligt werde dein Name

Ich habe gesagt, dass ich das Ganze in zwei Predigten aufteilen möchte. Das war nicht einfach meine eigene Idee. Sondern Jesus selbst hat sich diese Zweiteilung so gedacht. Wenn wir genau hinschauen, dann stellen wir fest: Die ersten drei Bitten beziehen sich ausschließlich auf Gott: dein Name, dein Reich, dein Wille. Und dann geht es um unser tägliches Brot, um unsere Schuld, und um unsere Anfechtungen. Eigentlich ist es so ähnlich wie bei den Zehn Geboten: Die ersten regeln unser Verhältnis zu Gott: "Ich bin der Herr, dein Gott." Und die folgenden unser Verhältnis unter uns Menschen.
Wenn man Kinder fragt, was sie beten. Dann hört man oft: Ich bete für mich, vielleicht für die Eltern und Geschwister. Manchmal auch noch für weiter entfernte Menschen. Was ja für ein Kind schon eine ganze Menge ist. Nun ist es kein Zufall, dass Jesus uns lehrt - und er redet hier zu Erwachsenen! Denkt beim Beten nicht zuerst an euch, an eure menschlichen Bedürfnisse, Sorgen, Nöte, Fragen. Sondern denkt zuerst an die "Bedürfnisse" eures Vaters im Himmel. Und ich glaube, dass es eine kleine Revolution in unserem Christsein geben würde. Wenn wir uns darauf einließen, und in unseren Gebeten immer zuerst an Gottes "Bedürfnisse" denken würden. Und dann erst an unsere, an die menschlichen. Eben so wie hier im Vaterunser.
Man kann das an der ersten Bitte sehr gut sehen: "Geheiligt werde dein Name". Vielleicht hilft auch hier ein Vergleich mit menschlichen Beziehungen, um das zu verstehen. Wenn ich über meine Frau höre, dass andere Gutes von ihr reden. Dass sie gelobt wird und Anerkennung erfährt. Dann freue ich mich. Wenn sie dagegen herabgesetzt wird, schlecht behandelt, vielleicht sogar öffentlich beleidigt wird. Dann bin ich traurig, oder auch wütend. Ich versuche vielleicht, dagegen vorzugehen. Auch bei Kindern ist es ähnlich. Meistens sind Kinder mächtig stolz auf ihre Eltern - besonders, wenn sie noch jung sind. Und wir Erwachsenen wissen vielleicht aus unserer eigenen Schulzeit, wie man damit angeben konnte. Was die so alles können, der Vater, die Mutter - die anderen Eltern natürlich nicht, bei weitem nicht...
Wir leben ja in einem Land, in dem die meisten mit Gott nicht mehr viel anfangen können. Kaum einer findet noch etwas dabei, wenn etwa in der Werbung Kirchen, Geistliche, Gebete, Jesus, seine Jünger, die Schlange im Paradies mit Adam und Eva usw. usw. benutzt werden. Benutzt, um irgendein "himmlisches" Produkt oder eine lohnende "sündhafte" Anschaffung zu verkaufen. Bei manchen ist es schick, jede Überraschung mit einem "O Gott" zu quittieren. Und in Filmen wie z.B. dem bekannten "Das Leben des Brian" lacht man sich kaputt über Jesus, über seine Botschaft und über seine Kreuzigung.
Da die Mehrzahl in unserem Land nicht an Jesus gläubig ist, ist das eigentlich kein Wunder, wenn sich kaum einer daran stößt. Jedoch: Wie geht es mir, als gläubigem Menschen, wenn ich so etwas mitbekomme? Geht es mir so wie dem Kind, wenn die eigenen Eltern von Mitschülern verspottet werden? Geht es mir so, wie wenn mein Ehepartner herabgewürdigt wird? Oder lässt mich das eher kalt - wenn es "nur" um meinen Vater im Himmel geht? Denke ich vielleicht: Das macht Gott doch nichts aus, wenn man ihn so behandelt?
Ich sage das so zugespitzt, damit wir verstehen, worum es geht. "Geheiligt werde dein Name" ist die erste Bitte im Vaterunser. Gewöhnlich stellt man das Wichtigste an den Anfang. Offensichtlich ist das für Jesus das Wichtigste: Dass der Vater im Himmel würdig behandelt wird unter den Menschen. Ich denke, auch Jesus weiß, dass wir nicht immer etwas sagen können. Dass man nicht immer dagegen halten kann, wenn Gott verspottet wird. Aber eines können wir tun: Wir können es zu unserem ersten Gebetsanliegen machen und darum bitten: Lieber Vater. Ich wünsche mir, dass dein Name würdig behandelt wird. Dass niemand dich und dein Wort in den Schmutz zieht. Sondern dass man gut und respektvoll von dir denkt und redet. "Dein Name werde geheiligt."
Und ich möchte das einfach als einen herausfordernden Gedankenanstoß weitergeben. Mit dem ich - zugegeben - selbst noch lange nicht fertig bin. Was könnte das heißen für unser Gebetsleben: Dass Jesus die Heiligung von Gottes Namen vor die Bitte um unsere täglichen Bedürfnisse gesetzt hat, an die allererste Stelle. Wie könnte das meinen Blick verändern? Meinen Blick auf meinen lieben Vater im Himmel? Und den Blick auf meine eigenen Bedürfnisse und Sorgen - die mich so oft in Beschlag nehmen?

3. Du sollst der Herr sein: Dein Reich komme, Dein Wille geschehe

Manche unter uns beten regelmäßig für unsere Gemeinde. Manche beten auch noch für die Arbeit in fernen Ländern, für andere Kirchen, für die Mission. Genau um diese Arbeit geht es, wenn Jesus in den Evangelien immer wieder vom "Reich Gottes" redet. Und darum geht es zuerst, wenn wir beten "dein Reich komme, dein Wille geschehe". Das nächste, was uns - nach dem Namen Gottes - ans Herz gelegt wird: Das ist die Sache des Evangeliums. Das ist das Anliegen: Wenn doch Jesus überall als der Herr angenommen wird!
Es ist durchaus nicht klar, wo man in dieser verworrenen Welt. Wo man da noch etwas von Gottes Reich, von seiner Herrschaft sieht. Wo denn da sein Wille geschieht. Manchmal könnte man viel eher denken: Gott hat die Kontrolle verloren. Oder: Diese völlig verrückte Welt interessiert ihn nicht mehr - soviel Übles und Gottloses geschieht dort.
Als Jesus seinen Jüngern erklärt, was das Reich Gottes ist. Z.B. in Matthäus Kapitel 13. Da redet er zu ihnen über das Wort Gottes. Wie es verkündigt wird. Wie so manche es hören. Und wie nur wenige davon sich das Gehörte auch zu Herzen nehmen. "Bei dem aber auf gutes Land gesät ist, das ist, der das Wort hört und versteht und dann auch Frucht bringt; und der eine trägt hundertfach, der andere sechzigfach, der dritte dreißigfach." (Matthäus 13,23) Wenn wir also beten: Dein Reich komme. Dann beten wir damit: Herr, wir wünschen uns, dass dein Wort gehört wird. Dass man es annimmt. Dass es auch uns selbst erreicht. Dass deine Gemeinde wächst. Ja, da wo Gottes Wort klar und deutlich verkündigt wird. Da, wo man auf Gottes Wort hört. Da ist tatsächlich das Reich Gottes bei uns angekommen. Da sieht man etwas davon, dass Jesus tatsächlich der Herr ist.
Und wünsche ich mir, dass wir immer mehr begreifen: Wenn wir für die Gemeinde und für die Verkündigung des Evangeliums beten, dann tun wir in erster Linie "Fürbitte für Gott" - wie schon bei der Bitte "Geheiligt werde dein Name". So wie es im Lied heißt: "O daß doch bald dein Feuer brennte, du unausprechlich Liebender, und bald die ganze Welt erkennte, daß du bis König, Gott und Herr!" (EG 255,1) Darum geht es in der Gemeindearbeit: Es geht in erster Linie darum, dass Gottes Name gelobt und geheiligt wird, dass Gott dabei "groß herauskommt". Erst in zweiter Linie geht es darum, dass wir uns über gut besuchte Gottesdienste, lebendiges Gemeindeleben und schöne Gemeinschaft freuen. Es ist gewissermaßen ein Nebeneffekt, der uns als gleichsam als Gratisbeigabe zukommt. Dort, wo Gottes Reich sich ausbreitet, und wo man sein Wort hört.
Wenn wir mit dieser Einstellung beten für die Gemeinde. Dann können wir das sehr zuversichtlich tun - weil es Gottes eigenes Anliegen ist. Und wir kommen zu dem paradoxen Schluss: Da, wo wir unsere eigenen Sorgen und Klagen über den Zustand der Kirche und unserer Gesellschaft vergessen. Wo wir statt dessen sagen: Lieber Vater im Himmel. Es geht doch nicht um uns. Es geht um dein Reich. Es geht um deinen Willen. Es geht um dein Wort. Wo wir so beten, da sind wir ganz nah dran am Herzen Gottes. Nah dran an seinen Wünschen für uns und für unsere Welt. Da können wir Überraschungen erleben, was Gott auf unsere Gebete hin tut. Es ist nicht immer das, was wir uns wünschen. Aber es ist das, was sein Reich und seinen Willen fördert.

Lassen wir uns vom Vaterunser herausfordern. Lassen wir uns herausfordern, im Gebet nicht zuerst an uns und an unsere Anliegen zu denken. Sondern zuerst zu sagen: Dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe. Aber vor allem: Vergessen wir dabei nicht, mit wem wir reden. Wir reden mit unserem himmlischen Vater. Der uns liebt, mehr als ein irdischer Vater es je könnte. Und dem keine Schwierigkeit zu groß ist - denn er ist immer noch größer. "Vater unser im Himmel."        Amen.

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