George Whitefield
Predigt 44
Christus, die Weisheit, die Gerechtigkeit, die Heiligung und die
Erlösung des Gläubigen
1. Korinther 1,30: "Durch ihn aber seid ihr in Christus Jesus, der
uns von Gott gemacht ist zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur
Heiligung und zur Erlösung."
Ich denke, von allen Versen in der Bibel ist dieser, eben vorgelesene
Vers einer der inhaltsreichsten: Welch frohe Botschaft bringt er doch
den Gläubigen! Welch hohe Vorrechte werden ihnen hierin verliehen!
Wie werden sie hier doch an die Quelle all dessen herangeführt:
Ich meine die Liebe, die ewige Liebe Gottes des Vaters! "Durch ihn aber
seid ihr in Christus Jesus, der uns von Gott gemacht ist zur Weisheit
und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung."
Ich werde euch von den Worten her, ohne auf den Textzusammenhang
einzugehen,
ERSTENS die Quelle zeigen, aus der all diese Gnadengaben entspringen,
an denen die Auserwählten Gottes in Jesus Christus teilhaben: "Der
uns von Gott gemacht ist...". Und
ZWEITENS werde ich Betrachtungen darüber anstellen, um was
für Gnadengaben es sich handelt: "Weisheit", "Gerechtigkeit",
"Heiligung" und "Erlösung."
ERSTENS möchte ich euch die Quelle zeigen, aus der all diese
Gnadengaben, an denen die Auserwählten Gottes in Jesus teilhaben,
entspringen: "Der uns von Gott gemacht ist..." Es ist der Vater, von
dem hier gesprochen wird. Nicht, als ob Jesus nicht auch Gott
wäre, aber Gott der Vater ist der Ursprung der Gottheit. Und wenn
wir Jesus Christus als den Fürsprecher ansehen, dann ist Gott der
Vater größer als er. Zwischen dem Vater und dem Sohn bestand
ein ewig gültiges Bündnis: "Ich habe einen Bund geschlossen
mit meinem Auserwählten, ich habe David, meinem Knechte,
geschworen:..." (Psalm 89,4). Nun war David ein Sinnbild für
Christus, mit dem der Vater einen Bund schloss, dass, wenn er gehorcht
und leidet und sich selbst zum Schuldopfer macht, "...er Nachkommen
haben (wird) und in die Länge leben, und des Herrn Plan wird durch
seine Hand gelingen." (Jesaja 53,10). Auf diese Vereinbarung bezieht
sich der Herr in jenem wunderbaren Gebet, das im 17. Kapitel des
Johannesevangeliums geschrieben steht. Und daher bittet er um alle, ja
beansprucht vielmehr mit aller Gewissheit diejenigen, die ihm vom Vater
übergeben worden sind: "Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch
die bei mir seien, die du mir gegeben hast,..." (Johannes 17,24).
Aus diesem selben Grund stimmt auch der Apostel in das Lob Gottes ein,
eben des Vaters unseres Herrn Jesus Christus. Denn er liebte die
Auserwählten mit unvergänglicher Liebe oder, wie es unser
Herr ausdrückt: "...ehe der Welt Grund gelegt war,..." (Epheser
1,4). Und deshalb, um ihnen zu zeigen, wem sie ihre Rettung zu
verdanken hätten, stellt sich ihnen der Herr im 25. Kapitel des
Matthäusevangeliums selbst dar, indem er sagt: "...Kommt her, ihr
Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von
Anbeginn der Welt!" (Matthäus 25,34). Und dementsprechend
antwortet er auch der Mutter der Kinder des Zebedäus, indem er
sagt: "...das Sitzen zu meiner Rechten und Linken zu geben, steht mir
nicht zu. Das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist von
meinem Vater." (Matthäus 20,23). Der Apostel erinnert sie
folglich, wenn er hier von den Vorrechten der Christen spricht, an die
ewige Liebe Gottes des Vaters, auf die sie zurückblicken sollen,
damit sie nicht ihrem eigenen Einfluss huldigen oder meinen, sie
hätten ihre Errettung ihrer eigenen Treue oder der Fortschritte
ihres eigenen freien Willens zu verdanken: "Der uns von Gott gemacht
ist...", usw..
Gott gebe, dass man mehr an diesen Teil der Lehre dächte, und die
Menschen wüssten besser über den Bund der Erlösung
zwischen dem Vater und dem Sohn Bescheid! Dann hätten wir bestimmt
nicht so viel Streit gegen die Lehre von der Erwählung oder
müssen erfahren, wie sie (sogar von guten Männern) als eine
Teufelslehre verdammt wird. Was mich selbst betrifft, so kann ich nicht
erkennen, wie man zu einem wahrhaft demütigen Herzen kommen kann,
ohne etwas darüber (über die Erwählungslehre) zu wissen.
Und obwohl ich nicht sagen möchte, dass jeder, der die
Erwählung bestreitet, ein schlechter Mensch ist, möchte ich
doch mit jenem feinen Dichter Mr. Trail sagen, dass es ein sehr
schlechtes Zeichen ist: Ich denke, so einer, wer immer er auch ist,
kann sich selbst nicht wirklich kennen. Denn, wenn wir die
Erwählung als falsch ablehnen, müssen wir uns, zumindest
teilweise, selbst rühmen. Aber unsere Erlösung ist so
geregelt, dass sich keine menschliche Natur in der Gegenwart Gottes
rühmen darf. Und deswegen ist es halt so, dass sich der Stolz des
Menschen gegen diese Lehre stellt, denn nach dieser Lehre und nach
keiner anderen gilt: "Wer sich rühmt, der rühme sich des
Herrn!" (1.Korinther 1,31, nach Jeremia 9,22.23; s.a. 2. Korinther
10,17.) Aber was soll ich sagen? Die Erwählung ist ein Geheimnis,
das mit einer solch strahlenden Helligkeit leuchtet, dass es - um mit
den Worten eines Menschen zu sprechen, der schon viel von der
erwählenden Liebe begierig in sich aufgenommen hat - sogar die
schwachen Augen einiger wert geachteter Kinder Gottes blendet. Jedoch,
obwohl sie es nicht wissen, kommt alle Gnade, die sie empfangen, alle
Rechte, die sie durch Jesus Christus ausüben oder an denen sie
sich erfreuen, aus der ewigen Liebe Gottes des Vaters: "Durch ihn aber
seid ihr in Christus Jesus, der uns von Gott gemacht ist zur Weisheit
und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung."
ZWEITENS werde ich nun Betrachtungen darüber anstellen, um was
für Gnadengaben es sich handelt, die hier durch Christus den
Erwählten übereignet werden. Nun,
1. Als ERSTES ist Christus ihnen zur WEISHEIT gemacht worden; aber
worin besteht wahre Weisheit? Fragte ich einige von euch, würdet
ihr vielleicht sagen, darin, den sinnlichen Begierden zu frönen
und euren Seelen zu sagen: "...iss, trink und habe guten Mut!"
(Lukas 12,19). Aber das ist nur die Weisheit des Viehs. Es
genießt die Sinneslust und hat praktisch den gleichen Gefallen
daran wie der größte Genussmensch der Welt. Andere
würden mir sagen, wahre Weisheit bestehe darin, sich Häuser
und Felder anzuhäufen Ländern den eigenen Namen zu geben.
Aber das kann nicht wahre Weisheit sein, denn Reichtümer bekommen
oft Flügel und fliegen wie ein Adler zum Himmel empor und davon.
Sogar die Weisheit selbst versichert uns: "...niemand lebt davon, dass
er viele Güter hat." (Luk. 12,15). Eitel, eitel, all das ist eitel
(Anspielung auf Prediger 1,2). Denn, selbst wenn die Reichtümer
nicht den Eigentümer verlassen, so müssen doch die
Eigentümer sie bald aufgeben, denn: "Reiche Menschen müssen
auch sterben und ihren Reichtum anderen überlassen." (Quelle des
Zitats unbekannt) Ihre Reichtümer können sie nicht vor dem
Grab bewahren, dem wir alle rasch entgegeneilen.
Aber vielleicht verachtet ihr ja Reichtümer und Sinneslust und
siedelt die Weisheit folglich auf dem Gebiet des Bücherwissens an.
Doch ist es möglich, dass ihr die Anzahl der Sterne angeben und
sie alle beim Namen nennen könnt, und trotzdem nur Dummköpfe
seid: Gebildete Menschen sind nicht immer auch weise. Nein, vielmehr
macht unsere Allgemeinbildung, derer wir uns so sehr rühmen, aus
Menschen nur lauter kultivierte Narren. Um euch daher nicht länger
in Spannung zu halten und euch dazu noch bescheiden zu machen, werde
ich euch nun zu einem Heiden in die Schule schicken, damit ihr lernt,
was wahre Weisheit ist: "Erkenne dich selbst" war das Sprichwort eines
der weisen Männer Griechenlands. Das ist gewiss wahre Weisheit,
und das ist jene Weisheit, von der in dem Text gesprochen wird und zu
welcher Jesus allen erwählten Sündern gemacht wird. Sie
werden dazu gebracht, sich selbst zu erkennen, so dass sie nicht
höher von sich denken als es ihnen zusteht. Früher waren sie
Finsternis; nun sind sie Licht in dem Herrn (Anspielung auf Epheser
5,8). Und in diesem Licht erkennen sie ihre eigene Dunkelheit. Jetzt
beweinen sie sich selbst als von Natur aus gefallene Kreaturen, tot in
Schuld und Sünden, Söhne und Erben der Hölle und Kinder
des Zorns. Sie erkennen jetzt, dass all ihre Gerechtigkeit nicht als
schmutziges Gelump ist, dass es in ihren Seelen nichts Gesundes gibt,
dass sie arm und elend, nackt und blind sind und dass es unter dem
Himmel keinen Namen gibt, durch den sie gerettet werden können,
als durch den Namen Jesu Christi. Sie sehen die Notwendigkeit ein, sich
mit einem Erlöser zusammen zu tun, und erblicken die Weisheit
Gottes, wie Er ihn zum Erlöser macht. Sie werden auch dazu
gebracht, dass sie bereit sind, die Erlösung zu den Bedingungen
unseres Herrn anzunehmen und ihn als ihr vollkommenes Ganzes
aufzunehmen. So wird Christus ihnen zur Weisheit gemacht.
2. ZWEITENS, "GERECHTIGKEIT": "Der uns von Gott gemacht ist zur
Weisheit und zur Gerechtigkeit." Die ganze persönliche
Gerechtigkeit Christi wird auf sie übertragen und als ihre
Gerechtigkeit angesehen. Es wird ihnen ermöglicht, Christus im
Glauben zu ergreifen, und Gott der Vater bedeckt ihre
Übertretungen wie mit einer dichten Wolke: An ihre Sünden und
ihre Schandtaten gedenkt er nicht mehr; sie werden in Christus Jesus
zur Gerechtigkeit Gottes gemacht, der "...des Gesetzes Ende [ist]; wer
an den glaubt, der ist gerecht." (Römer 10,4). In einer Hinsicht
sieht Gott sie nun ohne Sünde; der gesamte Bund der Werke ist in
ihnen erfüllt: Sie sind wirklich gerechtfertigt, freigesprochen
und werden vor Gott als gerechtfertigt angesehen. Sie sind in dem
Geliebten völlig angenommen; in ihm sind sie vollendet. Das
flammende Schwert des Zornes Gottes, das vorher überallhin fuhr,
ist nicht beseitigt und zum Baum des Lebens ist noch kein freier Zugang
gewährt worden. Ihnen wurde es ermöglicht, den Arm des
Glaubens auszustrecken und zu pflücken und ewig zu leben. Daher
fällt der Apostel unter dem Eindruck dieses seligen Vorrechts in
diese triumphierende Ausdrucksweise ein: "Christus ist es, der
gerecht macht. Wer will verdammen?" (Anspielung auf Römer
8,33+34). Verdammt (euch) die Sünde? Die Gerechtigkeit Christi
erlöst die Gläubigen von der Missetat der Sünde:
Christus ist ihr Erretter und hat ihre Sünden gesühnt: Wer
soll daher den Erwählten Gottes noch irgend etwas anlasten?
Verdammt (euch) das Gesetz? Weil ihnen Christi Gerechtigkeit
zugerechnet worden ist, sind sie dem Gesetz als einem Bund der Werke
gestorben. Christus hat es für sie und an ihrer Stelle
erfüllt. Bedroht sie der Tod? Sie brauchen sich nicht zu
fürchten: Der Stachel des Todes ist die Sünde; die Macht der
Sünde ist das Gesetz (Anspielung auf 1. Korinther 15,56). Aber
Gott hat ihnen den Sieg gegeben, indem er ihnen die Gerechtigkeit des
Herrn Jesus stellvertretend zugerechnet hat.
Und was für ein Vorrecht ist hier! Zu Recht können die Engel
bei der Geburt Christi den einfachen Hirten sagen: "...Siehe, ich
verkündige euch große Freude,..." (Lukas 2,10); euch, die
ihr an Christus glaubt, "ist ... der Heiland geboren,..." (Lukas 2,11).
Und mit gutem Grund dürfen sich die Engel bei der Bekehrung armer
Sünder freuen, denn der Herr ist ihre Gerechtigkeit. Sie haben mit
Gott durch den Glauben an das Blut Christi Frieden und werden niemals
in die Verdammnis kommen. Oh ihr Gläubigen! (Denn diese Abhandlung
ist in besonderer Weise für euch bestimmt.) Erhebt eure
Häupter. "Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage
ich: Freuet euch!" (Philipper 4,4). Christus ist euch von Gott zur
Gerechtigkeit gemacht worden, wovor solltet ihr euch denn dann noch
fürchten? Ihr seid in ihm zur Gerechtigkeit Gottes gemacht worden.
Man darf euch nennen: "Der Herr unsere Gerechtigkeit" (Jeremia 23, 6).
Wovor solltet ihr denn Angst haben? Was soll euch von nun an von der
Liebe Christi trennen? "Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder
Hunger oder Blösse oder Gefahr oder Schwert?" (Römer 8,35).
Nein, "...ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch
Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch
Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns
scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm
Herrn" (Römer 8,38-39), der uns von Gott gemacht ist zur
Gerechtigkeit.
Dies ist ein wunderbares Vorrecht, aber dies ist nur der Anfang des
Glücks der Gläubigen, denn:
3. DRITTENS ist Christus ihnen nicht nur zur Gerechtigkeit gemacht
worden, sondern auch zur Heiligung. Mit Heiligung meine ich nicht
blosse scheinheilige Teilnahme an den sichtbaren Sakramenten, obwohl in
rechter Weise unterrichtete Christen es immer als ihre Pflicht und als
Ehre ansehen dürften, an allen sichtbaren Sakramenten
teilzunehmen. Ich meine mit Heiligung auch nicht allein eine
äußerliche Besserung und ein paar kurzlebige
Überzeugungen oder ein bisschen gesetzliche Reue; denn das alles
kann auch ein ungeheiligter Mensch haben. Sondern ich meine mit
Heiligung eine totale Erneuerung des ganzen Menschen: Durch die
Gerechtigkeit Christi werden die Gläubigen nach dem Gesetz
lebendig, durch die Heiligung geistlich lebendig gemacht. Das eine gibt
ihnen das Recht auf die Herrlichkeit, das andere macht sie dafür
tauglich. Sie sind daher durch und durch an Geist, Seele und Leib
geheiligt.
Ihr Verständnis, das vorher dunkel war, wird jetzt in dem Herrn
hell und ihr Wille, der vorher dem Willen Gottes entgegen stand, wird
jetzt mit dem Willen Gottes eins. Ihr Begehren richtet sich jetzt nach
den oberen Dingen aus; ihr Denkvermögen ist nun voll mit
geistlichen Dingen; ihr natürliches Gewissen ist jetzt erhellt;
ihre Glieder, die vorher Werkzeuge der Unreinheit und schreiender
Ungerechtigkeit waren, sind jetzt neue Kreaturen. In ihren Herzen ist
"das Alte ... vergangen, siehe, Neues ist geworden" (2.Korinther 5,17):
Die Sünde hat nicht mehr die Herrschaft über sie. Sie sind
von ihrer Macht befreit, jedoch nicht davon, dass sie ihrem Wesen
innewohnt. Sie sind sowohl im Herzen als auch im Leben in jeder Art des
Umgangs heilig: Sie werden zu Teilhabern einer göttlichen Natur
gemacht, und sie empfangen von Jesus Christus Gnade. Und jede gute
Eigenschaft, die in Christus wohnt, ist in ihre Seelen übertragen
und dort nachgebildet worden. Sie sind in sein Bild verwandelt; er hat
in ihnen Gestalt angenommen. Sie wohnen in ihm und er in ihnen. Sie
werden durch den Heiligen Geist geführt und tragen dessen
Früchte. Sie wissen, dass Christus ihr Immanuel, ihr Gott mit
ihnen und in ihnen ist. Sie sind lebendige Tempel des Heiligen Geistes.
Und deshalb, weil sie eine heilige Wohnstatt des Herrn sind, wohnt und
wandelt die ganze Trinität in ihnen. Schon hier sitzen sie
zusammen mit Christus an himmlischen Orten und sind durch einen
lebendigen Glauben mit ihm, ihrem Haupt, sehr eng verbunden. Ihr
Erlöser, ihr Schöpfer, ist ihr Gatte. Sie sind Fleisch von
seinem Fleisch und Bein von seinem Bein. Sie sprechen, sie gehen mit
ihm so wie ein Mann mit seinem Freund geht und spricht. Kurz, sie sind
mit Christus eins so wie Christus und der Vater eins sind.
So wird Christus für die Gläubigen zur Heiligung. Und oh, was
für ein Vorrecht das doch ist! Von Rohlingen in Heilige verwandelt
zu werden und von einer teuflischen Natur zu Teilhabern einer
göttlichen Natur; vom Reich des Satans in das Reich des teuren
Sohnes Gottes versetzt zu werden! Den alten Menschen, der verdorben
ist, abzulegen und den neuen Menschen, der in Gerechtigkeit und wahrer
Heiligkeit nach Gott erschaffen ist, anzuziehen! Oh, was für ein
unaussprechlicher Segen das ist! Vor Erstaunen stehe ich förmlich
still, wenn ich darüber nachdenke. Mit guten Grund kann der
Apostel die Gläubigen ermahnen, sich in dem Herrn zu freuen. Sie
haben in der Tat Anlass, stets zu frohlocken, ja, auf dem Sterbebett
hocherfreut zu sein, denn das Reich Gottes ist in ihnen. Sie gehen von
einer Herrlichkeit zur anderen, nämlich durch den Geist des Herrn.
Das mag wohl für den natürlichen Menschen ein Geheimnis sein,
denn es ist ja sogar für den geistlichen Menschen selbst ein
Geheimnis, ein Geheimnis, das er nicht ergründen kann. Seid ihr
denn nicht oft selbst geblendet, oh ihr Kinder Gottes, wenn ihr einen
Blick auf euren eigenen Glanz werft, wenn das Licht des Herrn
hervorleuchtet und der Erlöser den Schein seines heiligen
Antlitzes auf eure Seelen wirft? Erstaunt es euch denn nicht, wenn ihr
spürt, dass die Liebe Gottes durch den Heiligen Geist in jeden
Winkel eurer Herzen ausgegossen wird und Gott das goldene Zepter seiner
Gnade ausstreckt und euch auffordert zu bitten, was ihr wollt und es
soll euch gegeben werden? Übersteigt nicht der Friede Gottes, der
eure Herzen erhält und regiert, die äußersten Grenzen
eures Begreifens? Und ist nicht die Freude, die ihr spürt,
unaussprechlich? Ist sie nicht überaus herrlich? Ich bin davon
überzeugt, dass es so ist und dass ihr in Eurer innersten Einkehr,
wenn die Liebe des Herrn in Eure Seelen einströmt, quasi von der
Fülle Gottes verschlungen werdet oder, um den Ausdruck des
Apostels zu benutzen, "erfüllt werdet mit der ganzen
Gottesfülle" (Epheser 3,19). Seid ihr denn noch nicht soweit, um
mit Salomo auszurufen: "Aber sollte Gott wirklich bei den Menschen auf
Erden wohnen?" (2. Chronik 6,18). Wie kommt es, dass wir in diesem
Maße Deine Söhne und Töchter sein sollten, oh Herr,
allmächtiger Gott!
Wenn ihr nun Gottes Kinder seid und wisst, was es bedeutet, mit dem
Vater und dem Sohn Gemeinschaft zu haben; wenn ihr nach dem Glauben und
nicht nach dem Schauen wandelt, dann bin ich sicher, dass euer Herz oft
so spricht.
Aber sieh doch nach vorne und erkenne, wie dein Blick frei ist auf die
ewige Freude, die vor dir liegt, oh du, der du glaubst! Was du schon
bekommen hast, sind nur die Erstlinge, wie die Weintrauben, die man aus
dem Lande Kanaan holte; nur ein Zeichen dafür und ein Versprechen,
dass noch unermesslich bessere Dinge kommen werden. Denn die Ernte wird
folgen. Deine (Gottes?) Gnade/ Dein (unsere?) Gnadenstand wird hernach
vollkommen in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen sein. Dein
großer Josua und gütiger Hohepriester wird dir reichlich
Zutritt in das Land der Verheißung gewähren, zu jener Ruhe,
die die Kinder Gottes erwartet. Denn Christus ist den Gläubigen
nicht nur zur Weisheit, zur Gerechtigkeit und zur Heiligung gemacht,
sondern auch zur ERLÖSUNG.
Aber bevor wir mit der Erklärung und der Betrachtung dieses
Vorrechts beginnen,
sollt ihr hieraus ZUERST einmal von dem schweren Irrtum jener Schreiber
und Geistlichen hören, die (wie sie es ja manchmal wirklich tun,
jedoch in einer sehr ungenauen und oberflächlichen Weise)
ungeachtet ihrer Rede von Heiligung und innerer Heiligkeit, diese
jedoch meistens als GRUND unserer Rechtfertigung hinstellen. Dabei
sollten sie diese (die Heiligung und innere Heiligkeit) doch als das
RESULTAT unserer Rechtfertigung ansehen."Durch ihn aber seid ihr in
Christus Jesus, der uns von Gott gemacht ist zur Weisheit und zur
Gerechtigkeit (und dann) zur Heiligung." Denn die Gerechtigkeit Christi
bzw. das, was Christus an unserer Statt ohne uns getan hat, ist der
einzige Grund dafür, dass Gott uns annimmt und für alle
Heiligung, die in uns geschaffen wird. Danach und nicht nach der
inneren Erleuchtung oder nach irgendetwas, das im Innern geschaffen
wird, sollten arme Sünder suchen, um vor Gott gerechtfertigt zu
werden. Denn um der Gerechtigkeit Christi willen allein und nicht wegen
irgendetwas, das in uns geschaffen wird, sieht Gott gnädig auf uns
herab. Unsere Heiligung in diesem Leben ist bestenfalls unvollkommen.
Obwohl wir von der Macht der Sünde befreit worden sind, sind wir
nicht davon frei, dass sie noch in uns wohnt. Das vollkommene Gesetz
Gottes verbietet jedoch nicht nur die Herrschaft der Sünde,
sondern auch, dass sie überhaupt in uns wohnt, denn es wird nicht
gesagt: "Du sollst der Begierde nicht nachgeben", sondern: "Du sollst
nicht begehren." (2. Mose 20,17) So dass wir, solange die treibende
Kraft der Begierde auch nur im geringsten Maße in unseren Herzen
bleibt - im übrigen sind wir aber niemals so heilig - doch
deswegen nicht darauf hoffen können, bei Gott angenommen zu
werden. Wir müssen daher zuerst nach einer Gerechtigkeit
außerhalb von uns suchen, nämlich nach der Gerechtigkeit
unseres Herrn Jesus Christus. Aus diesem Grunde nennt sie auch der
Apostel und stellt sie in den Worten des Textes vor die Heiligung. Und
wer auch immer eine andere Lehre lehrt, predigt nicht die Wahrheit wie
sie in Jesus ist.
ZWEITENS. Von daher können also die Antinomisten und
scheinheiligen Heuchler widerlegt werden, die von Christus
außerhalb von ihnen reden, aber nichts, nicht einmal
versuchsweise, von einem Werk der Heiligung wissen, das in ihnen
geschaffen wird. Worauf sie auch immer Anspruch erheben mögen,
weil Christus nicht in ihnen ist, ist der Herr auch nicht ihre
Gerechtigkeit und sie haben keine wohlgegründete Hoffnung auf die
Herrlichkeit. Denn wenn die Heiligung auch nicht der Grund unserer
Annahme bei Gott ist, so ist sie doch ihr Resultat: "Der uns von Gott
gemacht ist zur Gerechtigkeit und zur Heiligung." Darum ist derjenige,
der wirklich in Christus ist, eine neue Kreatur. Es ist keine
Rückkehr zu einem Bund der Werke, wo wir in unsere Herzen schauen
und da wir entdecken, dass sie verwandelt und erneuert worden sind, aus
dieser Tatsache eine angenehme und wohlgegründete Gewissheit
entwickeln, dass unser Stand gesichert ist. Nein, sondern das ist es,
wozu wir in der Schrift angewiesen werden: Danach, dass wir wir die
Früchte hervorbringen, sollen wir urteilen, ob wir jemals
wahrhaftig an Gottes Geist Anteil hatten oder nicht. "Wir wissen", sagt
Johannes, "dass wir aus dem Tod in das Leben gekommen sind; denn wir
lieben die Brüder." (1. Johannes 3,14). Und wie auch immer wir
über die Gerechtigkeit Christi reden und gegen gesetzliche
Prediger wettern mögen, wenn wir nicht im Herzen und im
Leben heilig sind, wenn unser Verstand nicht durch den Heiligen Geist
geheiligt und erneuert worden ist, sind wir doch Selbstbetrüger;
sind wir lediglich scheinheilige Heuchler. Denn wir dürfen nicht
trennen, was Gott zusammengefügt hat. Wir müssen den
Mittelweg zwischen den zwei Extremen halten. Wir dürfen auf der
einen Seite nicht so sehr auf den Christus außerhalb von uns
pochen, dass wir den Christus in uns als Zeichen, dass wir sein
Eigentum sind, und als Vorbereitung auf die zukünftige
Herrlichkeit ausschließen. Noch dürfen wir uns auf der
anderen Seite so auf die innewohnende Gerechtigkeit bzw. auf die in uns
gewirkte Heiligung verlassen, dass wir die Gerechtigkeit Jesu Christi,
die außerhalb von uns besteht, ausschließen. Aber
4. Laßt uns VIERTENS damit fortfahren, einen Blick auf ein
anderes Glied oder genauer, das Ende der goldenen Kette der Vorrechte
der Gläubigen zu werfen, die ERLÖSUNG. Wir müssen aber
weit nach oben schauen, denn ihre Spitze reicht wie Jakobs Leiter an
den Himmel, in den alle Gläubigen auffahren und wo sie auf die
rechte Seite Gottes gestellt werden. "Der uns von Gott gemacht ist zur
Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung."
Das ist wirklich eine goldene Kette! Und das Beste von allem ist, kein
Glied kann jemals von einem anderen getrennt werden. Wenn es im Wort
Gottes keinen anderen Text gäbe, würde dieser eine
ausreichend beweisen, dass die wahren Gläubigen in der Gnade
beharren werden. Beziehungsweise, Gott hat noch nie einen Menschen
gerechtfertigt, den er nicht auch geheiligt hat, noch hat er jemanden
geheiligt, den er nicht auch vollständig erlöst und
verherrlicht hat. Nein! Was Gott betrifft: Seine Wege, seine Werke sind
vollkommen; er fuhr immer mit dem Werk, was er begonnen hatte, fort und
vollendete es. So war es in der ersten Schöpfung, so ist es auch
in der neuen. Wenn Gott sagt: "Es werde Licht" (1. Mose 1,3), dann ist
da Licht, das immer stärker bis zu dem vollkommenen Tag scheint,
wo die Gläubigen zu ihrer ewigen Ruhe einkehren, so wie Gott in
die seine eingekehrt ist. Diejenigen, die Gott gerechtfertigt hat, hat
er praktisch verherrlicht. Denn weil nicht der Verdienst eines Menschen
der Grund dafür war, dass Gott ihm die Gerechtigkeit Christi
schenkte, so soll auch nicht seine Unwürdigkeit der Grund
dafür sein, dass er sie ihm wieder nimmt. Gottes Gaben und
Berufungen gereuen ihn nicht, und ich kann mir nicht vorstellen, dass
diejenigen eine klare Vorstellung von der Gerechtigkeit Christi haben,
die bestreiten, dass die Heiligen in der Gnade beharren werden. Ich
fürchte, sie begreifen die Rechtfertigung in dem schwachen Sinn,
wie ich sie noch vor ein paar Jahren begriffen habe, nämlich, dass
sie nicht mehr bedeutet als die Sündenvergebung. Aber sie bedeutet
nicht nur die Vergebung der vergangenen Sünden, sondern auch ein
BUNDESRECHT (des Bundes Gottes mit dem Menschen) auf all das Gute, was
noch kommt. Wenn uns Gott schon seinen einzigen Sohn gegeben hat, wie
sollte er uns mit ihm nicht bereitwillig alles schenken? Daher sagt der
Apostel nicht, nachdem er gesagt hat: "Der uns von Gott gemacht ist zur
zur Gerechtigkeit", vielleicht kann er uns zur Heiligung und zur
Erlösung gemacht werden, sondern: "Er ist ... gemacht". Denn es
besteht eine ewige, unauflösbare Verbindung zwischen diesen
seligen Vorrechten. So wie der Gehorsam Christi den Gläubigen
stellvertretend zugerechnet wird, so soll ihnen auch sein Beharren in
diesem Gehorsam zugerechnet werden. Und es spricht schon für eine
große Unwissenheit über den Bund der Gnade und der
Erlösung, wenn man dagegen Einwände erhebt.
Unter dem Wort ERLÖSUNG haben wir nicht nur eine vollständige
Befreiung von allem Übel zu verstehen, sondern auch, dass wir
alles Gute an Leib und Seele vollkommen genießen können. Ich
sage sowohl an Leib als auch an der Seele, denn der Herr ist auch dem
Körper zugeneigt. Die Körper der Heiligen in diesem Leben
sind Tempel des Heiligen Geistes. Gott macht einen Bund mit dem Staub
der Gläubigen. Nach ihrem Tod werden sie, obwohl sie von den
Würmern zersetzt werden, dennoch Gott sehen, sogar in ihrem Leib.
Ich fürchte wirklich, dass es in unseren Tagen einige
Sadduzäer gibt oder zumindest Ketzer, die entweder sagen, es
gäbe keine Auferstehung des Körpers oder die Auferstehung sei
schon geschehen, nämlich bei unserer Wiedergeburt. Daher kommt es
auch, dass man bestreitet, dass unser Herr am Tag des Jüngsten
Gerichts in Person wiederkommen wird, und folglich müsste das
Sakrament des Abendmahls unseres Herrn hinfällig werden. Denn
warum sollten wir an den Tod des Herrn gedenken, bis dass er zum
Gericht kommt, wenn er doch schon gekommen ist, um unsere Herzen zu
richten, und nicht zum zweiten Mal wiederkommen wird? Aber all das ist
doch nur die Argumentation ungelehrter, wankelmütiger Menschen,
die bestimmt nicht wissen, was sie sagen, und auch nicht, worauf sie
sich stützen. dass wir unserem Herrn in der Wiedergeburt folgen
und Teilhaber einer neuen Geburt sein müssen und dass Christus in
unsere Herzen kommen muss, das bekennen wir freimütig. Und wir
hoffen, dass wir, wenn wir über diese Dinge reden, nicht mehr
reden als das, was wir wissen und was wir fühlen. Aber dann ist es
auch klar, dass Jesus Christus hernach zum Gericht wiederkommen wird
und dass er mit dem Körper, den er hier auf Erden hatte, in den
Himmel aufgefahren ist. Denn er sagt nach seiner Auferstehung: "Fasst
mich an und seht; denn ein Geist hat nicht Fleisch und Knochen, wie ihr
seht, dass ich sie habe" (Lukas 24,39). Und es ist klar, dass Christi
Auferstehung ein Vorgeschmack auf die unsere war. Denn der Apostel
sagt: "Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten als Erstling
unter denen, die entschlafen sind" (1. Korinther 15,20). "Denn wie sie
in Adam alle sterben" (und sterblich geworden sind), "so werden sie in
Christus" (dem zweiten Adam, der die Gläubigen als ihr Bundeshaupt
vertritt, ganz sicher) "alle lebendig gemacht werden" oder
körperlich am Jüngsten Tage wieder auferstehen (Zitate aus 1.
Korinther 15,22).
Hier, oh ihr Gläubigen, ist eine Stufe, wenn auch die unterste,
derjenigen Auferstehung, die ihr alle einmal erreichen sollt; ich meine
die Erlösung eures Leibes. Denn dieses Vergängliche muss ins
Unvergängliche verkehrt werden, dieses Sterbliche ins
Unsterbliche. Unsere Körper wurden Jesus Christus vom Vater ebenso
wie unsere Seelen übergeben. Sie waren bereits im Wachen und im
Fasten und im Beten Gefährten. Daher wird auch Christus eure
Körper genauso wie eure Seelen am Jüngsten Tage auferwecken.
Habt darum keine Angst davor, oh ihr Gläubigen, einmal das Grab zu
sehen, denn für euch ist es nichts anderes als eine geweihte
Schlafstatt, wo euer Körper bis zum Morgen der Auferstehung ruhig
schlafen wird, wenn die Stimme des Erzengels ertönen wird und
Gottes Posaunen den allen geltenden Weckruf erschallen lassen: "Steht
auf, ihr Toten und kommt zum Gericht." Erde, Luft, Feuer und Wasser
werden eure verstreuten Überreste herausgeben (siehe Offenbarung
20,13) und ihr werdet sowohl in körperlicher als auch in
seelischer Gestalt für immer bei dem Herrn sein. Ich bin sicher,
dass viele von euch unter ihrem geschundenen Körper stöhnen
und oft darüber klagen, dass der sterbliche Körper die
unsterbliche Seele niederdrückt. Zumindest ist das bei mir der
Fall. Aber seien wir doch etwas geduldig, wir werden doch noch aus
unserem irdischen Gefängnis befreit werden. Bald schon werden
diese Hütten aus Lehm zerfallen, und wir werden mit unserem Haus,
das vom Himmel ist, überkleidet werden. Nach diesem Leben wird
unser Körper zu Geist werden und wird unsere Seelen nicht mehr so
durch Schwachheit behindern, dass er zur Fessel wird. Er wird so stark
sein, dass er einer gewaltigen und ewigen Macht der Herrlichkeit
standhält. Wieder andere haben vielleicht einen entstellten
Körper, der auch noch von Krankheit ausgezehrt und im Alter von
der schweren Arbeit völlig erschöpft ist. Aber wartet noch
etwas, bis der Tod euch die selige Verwandlung bringt, dann werden eure
Körper erneuert und herrlich gemacht werden wie der verherrlichte
Körper von Christus, von dem wir uns anhand des Berichts über
die Verklärung des Herrn auf dem Berge eine schwache Vorstellung
machen können, wenn es heißt: "Und er wurde verklärt
vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne,..."
(Matthäus 17,2) Mit gutem Grund kann ein Gläubiger dann in
die jubelnden Worte des Apostels einfallen: "Tod, wo ist dein Sieg?
Tod, wo ist dein Stachel?" (1. Korinther 15,55).
Aber was ist schon die Erlösung des Körpers im Vergleich zu
der Erlösung des besseren Teils, nämlich unserer Seelen? Ich
muss euch Gläubigen daher sagen, so wie der Engel zu Johannes
sagte: "Steig herauf" (Offenbarung 4,1) und lasst uns einen so klaren
Blick, wie es aus dieser Entfernung möglich ist, auf die
Erlösung werfen, die Christus für euch erworben hat und in
deren tatsächlichen Besitz er euch in Kürze bringen wird. Ihr
seid schon gerechtfertigt, ihr seid schon geheiligt und damit von der
Schuld und von der Herrschaft der Sünde befreit. Aber, wie ich
schon bemerkt habe, die Sünde bleibt dennoch in euch und wohnt in
euch. Gott hält es für richtig, ein paar Amalekiter im Lande
zu belassen, um Israel aktiv zu halten. Ich bin davon überzeugt,
dass auch der vollkommenste Christ gemäß eines unserer
(Bekenntnis-)Artikel zustimmen muss, dass "die Vergänglichkeit der
Natur auch in den Wiedergeborenen verbleibt, dass das Fleisch sich
immer gegen den Geist auflehnt und der Geist sich gegen das Fleisch."
(Anm. d. Red.: die genaue Fundstelle ist nicht zu bestimmen,
ähnliche oder sinngemäße Formulierungen finden sich in
reformatorischen Bekenntnissen, z.B. Konkordienformel II,63 oder
Westminster Bekenntnis XIII,2). So dass die Gläubigen mit
der Vollkommenheit, die sie sich wünschen, nichts für Gott
tun können. Das bereitet ihren gerechten Seelen Tag für Tag
Kummer und lässt sie mit dem heiligen Apostel ausrufen: "Wer wird
mich erlösen von diesem todverfallenen Leibe?" (Römer 7,24).
Ich danke Gott dafür, dass unser Herr Jesus Christus das tun wird,
aber vor dem Tag unseres Todes nicht vollkommen. Dann wird die
eigentliche Existenz der Sünde vernichtet und der
angeborenen Verderbtheit, die in uns wohnt, für immer ein
Ende gemacht werden. Und ist das nicht eine großartige
Erlösung? Ich bin sicher, dass die Gläubigen es so sehen.
Denn es gibt nichts, was das Herz eines Gotteskindes so sehr
betrübt wie die Reste der innewohnenden Sünde. Nochmal,
Gläubige werden oft durch vielfältige Versuchungen
bedrückt. Gott sieht es für notwendig und gut für sie
an, dass das so ist. Und obwohl sie sehr geliebt und in die
Gemeinschaft mit Gott eingegliedert sein mögen, sogar bis in den
dritten Himmel hinein, wird dennoch oft ein Bote Satans geschickt, um
ihnen einen Schlag zu versetzen, damit sie sich nicht aufgrund der
vielen Offenbarungen überheben. Aber werdet nicht müde, seid
in eurem Geist nicht schwach. Denn die Zeit eurer vollständigen
Erlösung ist nahe. Im Himmel wird der Böse damit
aufhören, euch zu belästigen, und eure erschöpften
Seelen werden sich ewiger Ruhe erfreuen. Seine feurigen Pfeile
können jene paradiesischen Regionen nicht erreichen. Satan wird
nie mehr kommen, um mit den Söhnen Gottes (vor Gott) zu
erscheinen, sie zu beunruhigen oder sie anzuklagen, wenn der Herr Jesus
Christus einmal die Tür geschlossen haben wird. Eure gerechten
Seelen werden jetzt Tag für Tag durch die gottlosen Reden der
Bösen mit Kummer geplagt. Jetzt wächst noch Unkraut unter dem
Weizen; Wölfe kommen in Schafskleidern. Aber die Erlösung,
von der der Text spricht, wird eure Seelen von allen Sorgen um diese
Dinge befreien. Nach diesem Leben werdet ihr eine vollkommene
Gemeinschaft der Heiligen genießen. Nichts, was unheilig oder
ungeheiligt ist, wird in das Allerheiligste eindringen, was oben (im
Himmel) für euch bereitet ist. Ihr sollt von diesem und allem nur
möglichen Übel befreit werden, wenn eure Erlösung
hernach im Himmel vollendet sein wird. Nicht nur das, sondern ihr
werdet auch alles Gute vollkommen mit genießen können. Es
stimmt, dass nicht alle Heiligen das gleiche Maß an Glück
haben werden, aber alle werden so glücklich sein, wie es ihre
Herzen nur wünschen können. Ihr Gläubigen, ihr sollt das
Böse richten und mit dem Gutem, mit Engeln, vertrauten Umgang
haben. Ihr werdet euch mit Abraham, Isaak, Jakob und allen Geistern der
Gerechten, die vollendet worden sind, niederlassen. Und, um euer ganzes
Glück in einem Ausdruck zusammen zu fassen, ihr werdet Gott den
Vater, den Sohn und den Heiligen Geist sehen. Und indem ihr Gott seht,
werdet ihr mehr und mehr ihm gleich werden und von einer Herrlichkeit
zur anderen gehen, ja in alle Ewigkeit.
Aber ich muss damit aufhören, die Herrlichkeiten der Welt dort
oben so tief in meine Seele eindringen zu lassen, dass ich mich in der
Betrachtung darüber ganz verliere. Brüder, die Erlösung,
von der hier gesprochen wird, ist unbeschreiblich; hier können wir
das nicht erkennen. Die Vorstellung davon, wie großartig sie ist,
hat kein Auge je gesehen, kein Ohr je gehört, noch konnte sie je
in die Herzen der meisten sterblichen Heiligen dringen. Selbst wenn ich
euch Beschreibungen ohne Ende davon bieten würde, müsstet
ihr, wenn ihr in den Himmel kommt, doch mit der Königin von Saba
sagen: "...nicht die Hälfte" (nicht ein Tausenstel) "hat man mir
gesagt" (1. Könige 10,7). Alles, was wir hier tun können ist,
auf den Berg Pisga zu steigen und mit dem Auge des Glaubens einen Blick
von ferne auf das gelobte Land zu werfen (vgl. 5. Mose 34,1) :
Vielleicht sehen wir es in der Ferne, so wie Abraham Christus sah (Anm.
d. Red.: vermutlich eine Anspielung auf die drei Männer in 1. Mose
18, besonders den einen Engel, der dann in 1. Mose 19,1 fehlt - eine
traditionelle christologische Auslegung dieser Stelle, vgl. z.B. den
Kommentar von Calvin zu 1. Mose 19,1), und freuen uns darüber,
aber hier ist unser Wissen nur Stückwerk. Gelobt sei Gott, dass
eine Zeit kommen wird, wo wir Gott erkennen werden, so wie wir erkannt
sind, und Gott alles in allem sein wird. Herr Jesus, vollende die Zahl
Deiner Erwählten! Herr Jesus, lass Dein Königreich bald
kommen!
Und wo sind nun die Spötter dieser letzten Zeit, die das Leben der
Christen für verrückt halten und meinen, ihr Ende sei ohne
Lohn? Bedauernswerte Menschen! Ihr wisst nicht, was ihr tut. Wenn ihr
offene Augen hättet und einen Verstand, geistliche Dinge zu
unterscheiden, dann würdet ihr nicht alle möglichen
bösen Dinge gegen Gottes Kinder reden, sondern ihr würdet sie
für die Hervorragenden dieser Erde halten und ihr Glück
beneiden. Eure Seelen würden danach hungern und dürsten. Ihr
würdet ebenfalls um Christi willen zu Narren werden. Ihr
rühmt euch, weise zu sein; das taten die Philosophen von Korinth
auch. Aber eure Weisheit ist törichte Dummheit vor Gott. Was wird
euch eure Weisheit bringen, wenn sie euch nicht so weise macht, um euch
zu erretten? Könnt ihr mit all eurer Weisheit ein
schlüssigeres Konzept vorlegen, worauf ihr eure Hoffnung auf
Rettung bauen könnt als das, was euch jetzt vorgelegt worden ist?
Könnt ihr mit aller Kraft der natürlichen Vernunft einen
besseren Weg finden, um bei Gott angenommen zu werden, als durch die
Gerechtigkeit des Herrn Jesus Christus? Ist es denn richtig zu glauben,
eure eigenen Werke könnten das in irgendeinem Maße verdienen
oder es euch verschaffen? Wenn nicht, warum wollt ihr denn nicht an ihn
glauben? Warum wollt ihr euch nicht seiner Gerechtigkeit unterwerfen?
Könnt ihr es abstreiten, dass ihr gefallene Kreaturen seid? Merkt
ihr denn nicht, dass in euch nur Durcheinander ist und dass diese
Unordnung euch unglücklich macht? Merkt ihr nicht, dass ihr eure
eigenen Herzen nicht ändern könnt? Habt ihr nicht schon
unzählige Male Vorsätze gefasst, und beherrscht euch eure
Verderbtheit nicht trotzdem? Seid ihr nicht Gebundene eurer Begierden
und Gefangene nach Lust und Laune des Teufels? Warum wollt ihr dann
nicht zu Christus kommen, um Heiligung zu erlangen? Wünscht ihr
euch nicht, den Tod der Gerechten zu sterben und dass euer
zukünftiger Stand ihnen gleichgestellt sei? Ich bin davon
überzeugt, dass ihr den Gedanken nicht ertragen könnt,
vernichtet zu werden, und noch viel weniger, für immer im Elend zu
sein. Was ihr auch immer vorgeben mögt; wenn ihr ehrlich seid,
dann müsst ihr bekennen, dass euch in nüchterneren Momenten
das Gewissen schlägt, ob ihr es wollt oder nicht, und euch sogar
dazu zwingt, es zu glauben, dass die Hölle kein aufgemaltes Feuer
ist. Und warum wollt ihr nun nicht zu Christus kommen? Er alleine kann
euch ewige Rettung verschaffen. Eilt, eilt fort zu ihm, ihr armen,
verführten Sünder. Euch fehlt Weisheit: Erbittet sie von
Christus. Wer weiß, vielleicht gibt er sie euch? Er ist imstande
dazu, denn er ist die Weisheit des Vaters. Er ist jene Weisheit, die
von Ewigkeit her gewesen ist. Ihr seid nicht gerecht: Dann fort, hin zu
Christus: "Denn Christus ist des Gesetzes Ende; wer an den glaubt, der
ist gerecht" (Römer 10,4). Ihr seid gottlos: Flieht zu dem Herrn
Jesus. Denn er ist voll Gnade und Wahrheit. Und von seiner Fülle
können alle haben, die an ihn glauben. Ihr habt Angst vor dem
Sterben. Laßt euch das zu Christus treiben: er hat die
Schlüssel des Todes und der Hölle. In ihm ist viel
Erlösung; er allein kann die Tür öffnen, die zum ewigen
Leben führt.
Darum lasst den verleiteten Logiker nicht länger mit seiner
angeblichen Vernunft prahlen. Was immer ihr auch denken mögt, es
ist das Unvernünftigste überhaupt, nicht an Jesus Christus zu
glauben, den Gott gesandt hat. Warum, warum wollt ihr denn sterben?
Warum wollt ihr nicht zu ihm kommen, damit ihr das Leben haben
möchtet? "Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum
Wasser" (Jesaja 55,1) "Komm! Und wen dürstet, der komme; und wer
da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst." (Offenbarung 22,17)
"Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst..." (Jesaja 55,1).
Wären diese seligen Vorrechte in dem Text für Geld zu kaufen,
könntet ihr wohl sagen: "Wir sind arm und können nicht
kaufen." Oder würden sie nur auf Sünder eines bestimmten
Ranges oder Grades übertragen, dann könntet ihr sagen: "Wie
können solche Sünder wie wir es erwarten, so sehr
begünstigt zu werden?" Aber sie sollen dem schlimmsten Sünder
umsonst gegeben werden. "Uns", sagt der Apostel, also mir, einem
Verfolger und euch Korinthern, die "Unzüchtige, Trunkenbolde,
Lustknaben, Götzendiener" (aus 1.Korinther 6,9+10) waren. Darum
darf auch jeder arme Sünder dann sagen: "Warum nicht mir?" Hat
denn Christus nur einen Segen? Und wenn er nun schon Millionen gesegnet
hat, indem er sie von ihren Missetaten weggebracht hat? Aber er macht
doch immer noch dasselbe: Er lebt ewig, um Fürsprache einzulegen,
und wird euch deshalb segnen, ja auch dich. Obwohl ihr wie Esau bisher
weltlich gewesen seid und bis jetzt das Geburtsrecht eures himmlische
Vaters verachtet habt, gilt es auch jetzt, wenn ihr glaubt: "Christus
wird euch gemacht von Gott zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur
Heiligung und zur Erlösung."
Aber ich muss mich wieder an die Gläubigen wenden, zu deren
Belehrung ja diese Ausführungen insbesondere gedacht waren, wie
ich bereits oben erwähnte. Ihr seht, Brüder und Teilhaber der
himmlischen Berufung, welch großer Segen für euch in Jesus
Christus, eurem Haupt, angehäuft wird und worauf ihr einen
Anspruch habt, wenn ihr an seinen Namen glaubt. Daher achtet darauf,
dass ihr der Berufung würdig wandelt, mit der ihr berufen seid.
Denkt oft darüber nach, wie sehr ihr begünstigt seid, und
merkt euch, nicht ihr habt Christus erwählt, sondern Christus hat
euch erwählt. Nehmt (als die Erwählten Gottes) einen
demütigen Geist an und freut euch, aber lasst es nur in dem Herrn
geschehen, denn ihr habt nichts als das, was ihr von Gott empfangen
habt. Von Natur aus wart ihr töricht, in einem genauso
gesetzlichen, genauso bösen und in einem genauso grässlichen
Zustand wie andere. Darum seid barmherzig, seid liebenswürdig. Und
da die Heiligung ein fortschreitendes Werk ist, hütet euch davor
zu meinen, ihr hättet sie schon erreicht. Laßt den, der
fromm ist, fromm bleiben in dem Wissen, dass der, der im Herzen am
reinsten ist, hernach den klarsten Anblick von Gott genießen
soll. Eure tägliche Bürde sei die in euch wohnende
Sünde. Bejammert und beklagt sie nicht nur, sondern seht zu, dass
ihr sie täglich durch die Kraft der göttlichen Gnade
niederzwingt. Und seht beständig auf Jesus, der ebenso der
Vollender wie der Urheber eures Glaubens ist. Baut nicht auf eure
eigene Treue, sondern darauf, dass Gott unveränderlich ist. Passt
auf, dass ihr nicht meint, ihr stündet kraft eures eigenen freien
Willens. Die ewige Liebe Gottes des Vaters muss eure einzige Hoffnung
und euer einziger Trost sein. Das sei euer Beistand in allen
Prüfungen. Denkt daran, dass Gottes Gaben und Berufungen ihn nicht
gereuen können, dass Christus, der euch einmal geliebt hat, euch
bis zum Ende lieben wird. Das treibe euch unter den Gehorsam und bringe
euch dazu, auf jene selige Zeit zu hoffen und euch danach zu sehnen,
wenn er nicht nur eure Weisheit und eure Gerechtigkeit und eure
Heiligkeit sein wird, sondern auch eure vollständige und ewige
Erlösung.
Ehre sei Gott in der Höhe!
(Übersetzung aus dem englischen Original: Elisabeth Simon.
E-Mail: me.simon@web.de)
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